Schakale Gottes
geschehen. Unabhängig davon solltest du bedenken, daß Natascha vielleicht nie in ihrem Leben an einem Ball teilgenommen hätte, wenn ihr Pater Rochus nicht begegnet wäre. Und das ist nun mal etwas Wichtiges für ein junges Mädchen. Alles übrige hat sich ohne unser Zutun ergeben, und ich flehe dich an, jetzt nicht päpstlicher als der Papst zu sein.«
Roman faßte sich an den Kopf. »Seid ihr euch denn nicht bewußt, was ihr mir zumutet? Fedor gibt sich als Nataschas Bruder aus, sie als die Schwester des Pauliners …«
»Das war doch nur für einen Abend!« protestierte Natascha.
»Gut, aber ich soll nun dein Vetter sein! Und mit einer Lüge hast du tausend Rubel erschlichen. Wofür Fedor die viertausend bekommen hat …«
»Das Geld ist nicht geschenkt, sondern als Vorschuß für einen Auftrag anzusehen.«
»Und du bereitest dich auf eine Reise mit diesem Pater vor!«
»Sei doch froh, daß deine Schwester etwas von der Welt zu sehen bekommt«, beschwor ihn Babuschka.
»Als ob ich ihr das nicht gönnen würde«, erregte sich Roman. »Mir paßt es nur nicht, daß die Einladung von diesem Mönch stammt.«
»Wohlan denn«, sagte Natascha mit gespielter Leichtigkeit. »Machen wir kurzen Prozeß und geben wir Pater Rochus alles zurück. Mir soll es recht sein. Er wird dann Weihnachten nicht kommen. Ich muß allerdings darauf bestehen, daß Fedor den Vorschuß ebenfalls zur Verfügung stellt.«
Roman rang die Hände. »Nun schütte das Kind nicht gleich mit dem Bade aus!«
Das ist der Sieg, triumphierte Natascha insgeheim. Für sie gab es keinen Zweifel mehr, daß ihr Bruder mit dieser Aufforderung den ersten Schritt zum Rückzug getan hatte. Unerbittlich wollte sie ihn in die Knie zwingen.
Nicht Einsicht, sondern Nachsicht ließ Roman Górski um des lieben Weihnachtsfriedens willen schließlich zu allem ja und amen sagen. Im Kampf gegen den Anstand hat das Übel es leicht, sich durchzusetzen.
Das erste Treffen zwischen Roman Górski und Pater Rochus begann steif, aber in perfekt gesellschaftlicher Form. Man begrüßte sich reserviert, sprach über alltägliche Dinge und überließ es Babuschka, die Weichen zu stellen. Und sie verstand es meisterhaft, die beiden Männer schon nach kurzer Zeit einander näherzubringen. Dies war gar nicht so schwer. Sie hatte Natascha und Fedor empfohlen, sich zunächst weitgehend zurückzuhalten, und brachte das Gespräch dann im geeigneten Moment auf den Freiheitskämpfer Tadeusz Kosciuszko. Damit war eine Garantie dafür gegeben, daß eine lebhafte Unterhaltung in Gang kam.
»In unserer Schatzkammer befinden sich drei Miniaturarbeiten, die Kosciuszko während seiner Gefangenschaft in Rußland angefertigt hat«, sagte Pater Rochus nicht ohne Stolz. »Es handelt sich um eine wunderschöne Intarsien-Dose, eine zarte neo-gotische Kapelle und einen kleinen Altar mit dem Bildnis des Gekreuzigten.«
»Ich wußte gar nicht, daß unser großer Freiheitskämpfer auch ein Künstler war«, sagte Roman überrascht.
Fedor kam in Fahrt. »Und was für einer! Du solltest auf der Rückfahrt nach Krakau in Czenstochau Station machen und dir seine Arbeiten ansehen. Einfach großartig! Besonders wenn man bedenkt, unter welchen Umständen er sie angefertigt hat.«
Romans Augen leuchteten. »Kosciuszko war schon ein interessanter Mann. Und welch bewegtes Leben hat er geführt! Kadettenanstalt in Warschau, Militärakademie in Paris, Hauptmann der polnischen Armee. Dann die unglückliche Liebe zur Tochter des Marschalls von Litauen, die er entführte, die ihm aber wieder entrissen wurde. Flucht nach Amerika. Er wird George Washingtons Adjutant, steigt im Unabhängigkeitskrieg zum Brigadegeneral auf, kehrt nach Polen zurück, kämpft als Befehlshaber einer Division gegen die Russen, erliegt der Übermacht, geht nach Leipzig, wird mit der Leitung eines Aufstandes in Polen betraut, begibt sich nach Krakau, läßt sich zum Diktator proklamieren, setzt eine provisorische Regierung ein, tritt der verbündeten preußisch-russischen Armee entgegen, muß sich nach Warschau zurückziehen und weist hier alle Angriffe zurück, bis der König von Preußen die Belagerung aufhebt. Er befreit das Volk von der Leibeigenschaft, zieht erneut gegen die Russen ins Feld, siegt dreimal und stürzt in einer vierten Schlacht schwer verwundet vom Pferd. Katharina II. läßt ihn ins Staatsgefängnis werfen. Nach ihrem Tod gibt ihm Zar Paul I. die Freiheit zurück. Er reist erneut nach Amerika, wird vom Kongreß nach
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