Schakale Gottes
Augen fast zugefallen. Die Fahrt, die vielen Eindrücke und nicht zuletzt ein schwerer Rotwein hatten sie so müde gemacht, daß sie Monsieur Dabrow gebeten hatte, sich gleich zurückziehen zu dürfen. Da auch er die rechte Bettschwere hatte, trennten sie sich vor ihren Zimmern mit der Verabredung, sich am nächsten Morgen um neun Uhr im Frühstücksalon zu treffen.
Es war das erste Frühstück, das sie gemeinsam einnahmen. Für beide hatte dies einen besonderen Reiz, da sie vom Personal für ein Paar gehalten und obendrein mit ›Baron‹ und ›Baronin‹ tituliert wurden. Monsieur Dabrow wußte, daß in Wien jeder, der nach etwas aussieht oder ein anständiges Trinkgeld gibt, mit Herr Baron oder zumindest mit Herr Doktor angesprochen wird. Natascha hingegen den fatalen Rückschluß, sie müsse wohl ungemein adelig aussehen. Sie genoß die ehrenvolle Anrede und wandelte wie geflügelt durch die Stadt.
Vom Opernring ging es zunächst zum Hofgarten mit dem Goethedenkmal, dann durch die Hofburg und den Volksgarten zum Rathaus, und schließlich durch ungezählte Gassen und Gäßchen zurück zum Zentrum der Stadt, zum ›Graben‹ mit der Pestsäule, deren verwirrende Darstellung Natascha erschaudern ließ, und zum ›Stock-im-Eisen-Platz‹, wo der Stumpf einer Tanne zu sehen ist, die als geheiligter Baum galt und mit Tausenden von Nägeln beschlagen worden war. Den Abschluß bildete der Besuch des Stephansdoms, dessen Bau Heinrich II. Jasomirgott 1144 in Angriff genommen hatte.
»Erst viele Generationen später, im Jahre 1310, konnte das gewaltige Bauwerk fertiggestellt werden«, erläuterte Monsieur Dabrow, der sich gut vorbereitet hatte. »In seinem hundertneununddreißig Meter hohen Turm hängt eine fast zweihundert Zentner schwere Glocke, die 1711 aus eroberten türkischen Kanonen gegossen wurde.«
Natascha sah ihn hilfeheischend an. »Glaubst du, daß wir hier irgendwo eine Kleinigkeit essen können? Mir ist schlecht vor Hunger. Seit vier Stunden laufen wir von einem Platz zum anderen.«
Sie brauchten nicht weit zu gehen. Gleich in der Nähe fanden sie ein hübsches Speiserestaurant, in dem sich Natascha sehr schnell erholte, als Monsieur Dabrow ihr versprach, an diesem Tage keinerlei Besichtigungen mehr vorzunehmen und mit ihr nur noch durch die Kärntner Straße zu bummeln.
Ihre Augen blitzten. »Darf ich einen Wunsch äußern?«
»Jeden!«
»Vorhin, am ›Graben‹, sah ich in einem Geschäft einen wunderschönen Morgenrock. Dürfte ich mir den kaufen?«
Er ergriff ihre Hand. »Würdest du mir dann helfen, auch einen für mich zu finden?«
Natascha sah den weich werdenden Ausdruck seiner Augen und wußte, daß sie beide das gleiche dachten: sie würden sich in den neuen Morgenröcken begegnen. »Helfen wir uns gegenseitig«, sagte sie couragiert. »Mein Morgenrock soll dir und der deine mir gefallen.«
Er drückte ihre Hand. »Wir verstehen uns ausgezeichnet.«
Diesen Eindruck gewann auch ein Verkäufer des Warenhauses Ph. Haas & Söhne. Im Nu waren ein weinroter und ein flaschengrüner Morgenrock erstanden. Monsieur Dabrow, alias Pater Rochus, ließ sie zum Hotel Impérial schicken, und dann begann der eigentliche Bummel durch die Kärntner Straße, der allerdings schon bald eine bedeutsame Unterbrechung erfuhr. Die Auslage eines Juweliers hatte es ihm angetan.
»Das Brillantkollier dort würde glänzend zu deinem Solitär passen«, sagte er und schob Natascha auf die Ladentür zu.
»Bist du wahnsinnig?« ereiferte sie sich. »Die Steine sind von hoher Qualität. Das Kollier wird ein Vermögen kosten.«
»Anschauen und fragen kostet nichts«, erklärte er und öffnete die Tür.
Als Natascha das Geschäft verließ, trug sie zwar nicht das Kollier, aber einen Armreifen von seltener Schönheit. 1.200 Kronen hatte Monsieur Dabrow auf den Ladentisch gelegt, als wäre es nichts.
Natascha war glücklich, konnte sich aber nicht richtig freuen. »Woher hast du bloß das viele Geld?« fragte sie bedrückt.
»Das habe ich dir doch schon gesagt, ich habe jahrelang in den Gemeinschaftstopf eingezahlt und kann nun dementsprechend herausnehmen.«
»Aber du gibst Tausende aus!«
»Warum nicht, wenn in dem Topf Hunderttausende darauf warten, dem sinnlosen Herumliegen zu entfliehen und sich als nützliches Mittel der Gesellschaft zu erweisen.«
»Ich brauche mir wirklich keine Gedanken zu machen?«
»Ganz gewiß nicht.«
»Ja, dann …« Sie gab ihm auf offener Straße einen Kuß. »Ich weiß gar nicht,
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