Schakale Gottes
zufuhr.
Monsieur Dabrow gefiel sich in der Rolle des Fremdenführers. »Es ist der ehemalige Palast des Herzogs von Württemberg. Ich hoffe, er wird dir gefallen.«
»Hast du schon in dem Hotel gewohnt?«
Er schüttelte den Kopf. »Früher bin ich im ›Meißl und Schadn‹ abgestiegen, ein ausgezeichnetes Haus am Neuen Markt. Diesmal soll es aber etwas ganz Besonderes sein.«
Das Foyer des Impérial war so elegant, daß Natascha Herzklopfen bekam und sich unsicher fühlte, Monsieur Dabrow hingegen schritt mit der Selbstverständlichkeit eines Globetrotters zur Reception und bat um zwei Einzelzimmer für sich und seine ›Schwester‹.
»Sollen die Zimmer nebeneinander liegen?« fragte der Portier mit einem Blick auf Natascha, die sich im Hintergrund hielt.
»Nicht unbedingt«, antwortete er und legte die auf seinen Geburtsnamen ausgestellten Papiere vor.
Seine Antwort bewirkte, daß ihnen der Portier ohne Bedenken zwei gegenüberliegende Zimmer zuteilte. »Sie befinden sich in der dritten Etage«, sagte er und drückte auf eine Klingel. »Der Page wird Sie führen.«
Natascha wurde ganz aufgeregt, als sie den Aufzug betrat. Ihre Wangen röteten sich. »Das wird meine erste Fahrt mit einem Lift.«
Der Page lächelte. »Verzeihen Sie, gnädige Frau, aber ein Lift ist dieser Fahrstuhl nicht.«
»Sondern?«
»Er ist ein Aufzug, denn er fährt, ohne daß eine Münze eingeworfen wird.«
Monsieur Dabrow lachte. »Wir werden hier in Wien noch vieles lernen müssen.«
Natascha war von ihrem Zimmer so entzückt, daß sie es am liebsten nicht mehr verlassen hätte. Es war im Biedermeierstil eingerichtet und verfügte über ein Bett, ein Sofa und zwei Sessel mit einem Mahagonitisch. Im weißgekachelten Bad befand sich ein WC, und über einem mit vergoldeten Armaturen versehenen Waschbecken hing ein ovaler Spiegel mit der Inschrift: ›Guten Morgen‹. Nachdem beide ihre Koffer ausgepackt und sich frisch gemacht hatten, schlug Monsieur Dabrow vor, noch einen kleinen Spaziergang zu machen und dann zu Abend zu essen.
Natascha war einverstanden, bat allerdings darum, nicht mehr weit gehen zu müssen, da die ganztägige Bahnfahrt sie doch sehr angestrengt habe.
»Nur ein paar Schritte«, versprach er. »Keine dreihundert Meter von hier entfernt liegt das Opernhaus und beginnt die Kärntner Straße, die du morgen bestimmt nicht durchqueren wirst, ohne dir etwas Schönes zu kaufen.«
Natascha war plötzlich ganz froh, noch einen kleinen Bummel durch die von Gaslaternen erhellten Straßen machen zu können. Die Häuser und Geschäfte waren mit elektrischem Licht ausgestattet, dessen gelblicher Schein eine fast weihnachtliche Stimmung hervorrief. Die Fassade des Opernhauses war nur undeutlich zu sehen. Natascha bedauerte dies nicht. Für sie war es wesentlich interessanter, einen Blick in die Geschäftsstraße zu werfen, von der Monsieur Dabrow gesagt hatte, daß sie dort am nächsten Tag einiges einkaufen würde. »Du bist ein Verführer!« flüsterte sie ihm ins Ohr und hakte sich bei ihm ein.
Er schaute sie verliebt an. »Und was bist du?«
»Sehr glücklich darüber, daß du einen Zivilanzug trägst.«
»Ich habe es anders gemein!«
»Nämlich?«
»Daß du besonders verführerisch bist!«
»Heute wohl kaum. Dafür bin ich zu müde.«
Er wies auf den halb im Dunkel gelegenen monumentalen Renaissancebau der Hofoper. »Was sagst du dazu?«
Natascha schmiegte sich an ihn. »Nachdem die Ankunft enttäuschend war, gewinnt die Stadt jetzt sogar in der Nacht so sehr, daß ich zu träumen glaube.«
»Was wirst du erst sagen, wenn dusie am Tage siehst unddie Wiener kennenlernst!«
»Sind die wirklich anders?«
»Es gibt einen Spruch, der sie gut kennzeichnet: Was muß jeder Wiener wissen? Wo mau den besten Wein bekommt. Was glaubt der Wiener? Daß Arbeit schändet. – Was hofft der Wiener? Einen Treffer in der Lotterie zu machen. – Was liebt der Wiener? Die Ferien. – Was ist für den Wiener die Glückseligkeit? Eine gute Jause. – Was hält der Wiener für eine Todsünde? Nicht in Ruhe zu essen.«
Natascha lachte. »Besonders das letzte gefällt mir. Werden wir es den Wienern gleichtun?«
Monsieur Dabrow legte den Arm um sie. »Du darfst deine Erwartungen aber nicht zu hoch schrauben.«
Sie sah ihn fragend an. »Was willst du damit sagen?«
»Daß hohe Erwartungen selten erfüllt werden.«
Natascha fühlte sich wie neugeboren, als sie am nächsten Morgen erwachte. Ihr waren nach dem Abendessen die
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