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Schakale Gottes

Titel: Schakale Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bergius C.C.
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verhungern?«
    Sie gab sich überwältigt. »Es war schon immer der Traum meines Lebens, einmal in einem Speisewagen zu sitzen und durch die Landschaft zu fahren.«
    »Eine Landschaft, die heute besonders schön wird, wenn wir die Grenze hinter uns gebracht haben.«
    Da die Waggons stark schlingerten, war der Weg zum Speisewagen recht beschwerlich, aber es lohnte sich, die Mühe auf sich zu nehmen. Die Tische waren weiß gedeckt. Auf ihnen standen kleine elektrische Lampen. Der Boden war mit einem Teppich ausgelegt. Man nahm auf freistehenden Stühlen Platz. Adrette Kellner hantierten trotz der heftigen Fahrstöße erstaunlich sicher.
    Während des Essens, zu dem sie einen ›Rotgipfler‹ tranken, schaute Natascha oft wie gebannt zu den Bergen Mährens hinauf. Ihr war es, als führe sie geradenwegs in das Paradies hinein. »Was ist das für ein Fluß?« fragte sie, nachdem Prerau passiert war und der Zug in ein weites Tal einbog.
    »Das ist die March«, antwortete ›Monsieur Dabrow‹ und begann von Schlachten zu berichten, die vor Hunderten von Jahren im Marchfeld stattgefunden hatten. Er erzählte aus der Geschichte Österreichs und von seinen Bewohnern, die ursprünglich den Römern, Slawen und Hunnen zu dienen gehabt, sich im Laufe der Jahre jedoch mit ihnen vermischt hatten und schließlich selbst über Polen, Tschechen, Kroaten, Serben, Magyaren, Belgier und Lombarden regierten. Wien wurde zum Schmelztiegel der Rassen. Friedlich vereint lebten Juden, Türken, Böhmen, Polen, Slowaken, Rumänen, Bulgaren, Kroaten, Serben, Slowenen, Griechen und Mazedonier beisammen. Man arrangierte sich, war menschlich, erwartete kein Heldentum. Man flüchtete vor der Pest, huldigte Napoleon, als er in Wien einrückte, schimpfte nicht über Franz I. der das Feld vor dem Korsen geräumt hatte, jubelte, als der Kaiser aus dem Exil zurückkehrte, und fand nichts dabei, daß er seine Tochter Maria Louise wenige Monate später dem Feind zur Gattin gab. Man lavierte und finassierte, genoß wie eh und je die ›Backhendlzeit‹ und stellte, als rebellische Wiener im Donnergrollen der Französischen Revolution auf die Hofburg zumarschierten, mit dem gütigen Ferdinand I. die Frage: ›Ja, derfen s' denn des?‹ Man hieß Gruber und Jeritza, Brunner und Jedlickowa, Tiefenthaler und Drahanek, Hoheneder und Skoda, Herz und Prohaska, Goldstein und Bedopil. Die nicht mehr zu entwirrende Verflechtung der Rassen störte niemanden. Man traf sich beim ›Heurigen‹, sang gemeinsam das von dem Juden Pick geschriebene Fiakerlied: ›Mei Stolz is, i bin halt an echt's Weaner Kind‹, aß zum ›Tafelspitz‹ Apfelkren und ließ sich des Morgens ›Kipferl‹ schmecken, ohne daran zu denken, daß die Wiener Bäcker ihre Semmeln zur Besänftigung der Türken erstmals in Form des Sichelmondes gebacken hatten, als die Janitscharen in die Stadt einzurücken drohten. Aber der polnische General Sobieski und der Herzog von Lothringen schlugen die Türken in die Flucht. Dies veranlaßte die Wiener Bäcker, nun erst recht ›Kipfeln‹ zu backen: jetzt dem bösen Feind zum Hohn. In Wien läßt's sich eben in jedem Fall gut leben.
    »Schwierig wird's nur in den Kaffeehäusern«, sagte Monsieur Dabrow. »Dort herrscht eine Geheimsprache, die kein Ausländer versteht. Man weiß wirklich nicht, was man bestellen soll, wenn man eine Tasse Kaffee haben möchte und zwischen ›Melange‹, ›Teeschale braun‹, ›Schale Gold passiert‹, ›Nußschale mit Haut‹. ›Türkischen‹, ›Mazagran‹, ›Einspänner‹ und ›Kapuziner‹ zu wählen hat. Und entscheidet man sich nach endlosen Erklärungen für diese oder jene Art, dann stehen einem die Haare zu Berge, wenn der Kellner wiederholt: ›Also gut, ein ›Flüssiger‹ und ein ›Schwarzer‹.‹«
    Die Einfahrt in Wien enttäuschte Natascha. Die Donau war nicht blau, sondern lehmig-gelb, und der Leopoldstädter Nordbahnhof hatte wenig Einladendes; der zu ihm gehörige Kohlenbahnhof verschandelte die Umgebung total. Erst hinter dem Prater-Stern wurde es freundlicher, und nachdem der Donau-Kanal überquert und der ›Ring‹ erreicht war, verbesserte sich der Eindruck mit jedem Meter. Über den Stuben-, den Park- und den Kolowrat-Ring, dessen mit schweren Stuckornamenten und üppigen Karyatiden versehene Wohnhäuser Natascha so beeindruckten, daß sie ganz still wurde, ging es zum Hotel Impérial am Kärntner Ring.
    »Hier werden wir wohnen?« fragte sie beklommen, als der Fiaker auf den Hoteleingang

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