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Schalck-Golodkowski: Der Mann, der die DDR retten wollte (German Edition)

Schalck-Golodkowski: Der Mann, der die DDR retten wollte (German Edition)

Titel: Schalck-Golodkowski: Der Mann, der die DDR retten wollte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schumann , Heinz Wuschech
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nichts. Wohl aber kam es zu einer »schalterlosen« Überlandleitung vom Bundesgebiet nach Westberlin, die von der DDR nicht unterbrochen werden konnte. Sie kam in den 80er Jahren nach inoffiziellen Gesprächen zwischen dem Unterhändler Schalck-Golodkowski und dem Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium Dieter von Würzen zustande. Dieser Stromanschluss nahm der DDR einerseits ein politisches Druckmittel und band Westberlin stärker noch an die Bundesrepublik. Andererseits traf dies auch auf die DDR zu: Für den Bau und den Energietransit bezahlte die Bundesrepublik mit Stromlieferungen, d. h. die DDR wurde de facto in den westeuropäischen Energieverbund integriert.
    Die Unterhändler Schalck-Golodkowski und König erörterten viele offene politische Fragen, die später – sofern sie nach Erörterung in den jeweiligen Gremien auf beiden Seiten als sinnvoll betrachtet und in entsprechende Form gegossen worden waren – offiziell verhandelt wurden. Erst dann erfuhr die Öffentlichkeit Thema und Gegenstand, nie aber,
wer
die Sache eingefädelt hatte.
    Maßgabe war, dass beide Seiten Nutzen daraus zogen, und der musste sowohl wirtschaftlicher als auch politischer Natur sein. Es ist müßig, darüber zu rätseln, wer etwa vom Ausbau der Grenzübergangsstelle in Drewitz, von der Öffnung des Teltowkanals für die Binnenschifffahrt, der Anbindung Westberliner Betriebe an das Schienennetz der Deutschen Reichsbahn oder von der Entsorgung von zwei Millionen Kubikmeter Westberliner Bauschutt mehr profitierte: der Westen oder der Osten? Tatsache bleibt, dass Schalck existenzielle Probleme Berlins und damit der beiden deutschen Staaten mit seinem Westberliner Gesprächspartner konstruktiv löste, obgleich die Ausgangslage konträr war.
    Für Senator Karl König nämlich gehörte Westberlin zur Bundesrepublik, auch wenn bestimmte Vorbehaltsklauseln der Vier Mächte dem entgegenstanden. Entscheidend war das Geld, mit dem man in Westberlin zahlte: Es war die gleiche Währung, die auch in der Bundesrepublik Deutschland im Umlauf war.
    Die DDR hingegen war der Auffassung, dass es auf dem Territorium des einstigen Deutschen Reiches drei verschiedene Völkerrechtssubjekte gab: die Deutsche Demokratische Republik, die Bundesrepublik Deutschland und die selbständige politische Einheit Westberlin, die nicht zur Bundesrepublik gehörte und darum auch nicht von ihr regiert werden durfte, wie die stets angefügte Formel lautete.
    Dem jedoch stand die Wirklichkeit entgegen: 1961, im Jahr des sogenannten Mauerbaus, arbeiteten rund 18.000 Bundesbedienstete in Westberlin, mehr als in der Bundeshauptstadt Bonn. Sie waren beschäftigt in den Außenstellen aller Bundesministerien sowie in elf Bundesbehörden. Und jene Behörden, die ihren Sitz in »Westdeutschland« hatten, unterhielten Ableger in Westberlin. Und nicht zuletzt: Der Bonner Bundestag trat demonstrativ regelmäßig im Reichstag zusammen, um auf diese Weise die Zusammengehörigkeit zu bekunden, was eindeutig gegen das in Berlin geltendes Recht der Vier Mächte verstieß. In den Hochzeiten des Kalten Krieges beließ es die Sowjetunion nicht bei Protestnoten. Sie ging gegen diese Provokation beispielsweise auch mit ihren Jagdfliegern vor: Diese durchbrachen über dem Reichstag die sogenannte Schallmauer, was bekanntlich einen ohrenbetäubenden Knall erzeugt.
    Das alles ignorierten Schalck-Golodkowski und König, sie fanden im trauten Tête-à-tête die Urformel, die bis zum Ende der DDR die Basis für alle deutsch-deutschen Verhandlungen bilden sollte: politische Leistungen der DDR gegen finanzielle Leistungen des Westens. Schließlich wollte die politische Klasse der BRD inklusive Westberlins, um in den Augen ihrer Wähler in der Auseinandersetzung mit »dem Kommunismus« erfolgreich zu erscheinen, der DDR-Seite Zugeständnisse – etwa »menschliche Erleichterungen« – und andere nützliche Zusagen abtrotzen. Dafür war man bereit zu zahlen. Was nicht nur ideologisch motiviert war: Im Kapitalismus ist schließlich alles Ware und hat darum seinen Preis. Die Verhandlungsformel entsprach also der Logik und den Gesetzen der Marktwirtschaft. Und diese haben bekanntlich nichts mit Moral oder Ethik, sondern mit Interessen und Bedürfnissen zu tun.
    Dem Unterhändler Schalck ging es wie dem Dr. Heinrich Faust: Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust. Bei diesem inneren Konflikt, ob man nicht mit solchen Geschäften auch seine politischen Prinzipien verkaufe, obsiegte bisweilen

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