Schalck-Golodkowski: Der Mann, der die DDR retten wollte (German Edition)
Bundesregierung gehörte auch der 1973 zwischen Bonn und Prag geschlossene Vertrag.
Alle diese Abkommen trugen erheblich zur Normalisierung der internationalen Beziehungen bei. In der Bundesrepublik stand dies unter der Maßgabe »Wandel durch Annäherung«, in der DDR wertete man dies als Ausdruck einer angestrebten friedlichen Koexistenz. Allerdings fand der auf beiden Seiten postulierte Wettstreit der Systeme nicht mit fairen Mitteln statt, die Auseinandersetzung erfolgte unverändert konfrontativ. Die Instrumente des Kalten Krieges wie etwa die CoCom-Liste, Handelsembargos und Boykotte waren unverändert im Einsatz, der Propaganda-Krieg und der Kampf um die Köpfe wurde uneingeschränkt fortgesetzt, gar forciert, auch wenn statt des Holzhammers nunmehr das Florett zum Einsatz kam. Am Wesen des Konfliktes, der im Osten als Klassenkampf bezeichnet wurde, änderte sich trotz Entspannungspolitik nichts.
Unterhändler wie Alexander Schalck-Golodkowski wurden darum nicht arbeitslos. Im Gegenteil.
In Bonn trat Anfang Mai 1974 Willy Brandt als Bundeskanzler zurück. Formaler Anlass war die sogenannte Guillaume-Affäre – die Enttarnung eines persönlichen Mitarbeiters als DDR-Spion. Doch der tatsächliche Grund für den vermeintlich überraschenden Rücktritt war komplexer Natur. Brandt galt als amtsmüde und stand deshalb in der Kritik seines politischen Umfeldes, zudem litt er an Depressionen, hatte Alkoholprobleme und Affären. Das alles wurde zu seiner Diffamierung eingesetzt, auch innerhalb der SPD, weshalb er Knall auf Fall verärgert ausstieg.
Sein Nachfolger wurde Finanzminister Helmut Schmidt, der – neben Herbert Wehner – Brandts schärfster innerparteilicher Kritiker war. Schmidt wollte den inoffiziellen Dialog mit der DDR jedoch nicht abreißen lassen, weshalb er schon unmittelbar nach Übernahme des Amtes Karl Otto Pöhl nach Westberlin schickte, wo sich der Staatssekretär im Bundesfinanzministerium mit DDR-Staatssekretär Schalck-Golodkowski in einem Gebäude der schwedischen Kirche im Grunewald traf. Pöhl hatte das Mandat des Bundeskanzlers, Schalck das des Ersten Sekretärs des ZK der SED.
Die Initiative für dieses erste Treffen im Juli 1974 war von Herbert Wehner ausgegangen. Der hatte über Rechtsanwalt und Unterhändler Wolfgang Vogel die Bitte nach einem solchen Kanal an Erich Honecker herangetragen und auch den Namen des Unterhändlers genannt, den ihr Mann zu treffen wünsche: Alexander Schalck-Golodkowski.
Der SPD-Fraktionschef Wehner gehörte in den 30er Jahren der exilierten KPD-Führung in Moskau an und setzte sich in Schweden von der Partei ab, er führte die SPD in den 50er Jahren nach Bad Godesberg und machte sie in der kapitalistischen BRD regierungsfähig, und als sie regierte, knüpfte er legale und auch konspirativ Kontakte in die DDR. Im Mai 1973 war er gemeinsam mit FDP-Fraktionschef Mischnick bei Erich Honecker in der Schorfheide gewesen, was dazu geführt hatte, dass in den BRD-Medien das Gerücht gestreut wurde, er unterhalte Sonderkontakte zum SED-Chef. Norbert Blüm (CDU) wurde nach einem Gespräch mit dem stellvertretenden Chefredakteur der Moskauer Regierungszeitung
Iswestija
mit dem Satz zitiert: »Das Gesprächsergebnis lässt sich so deuten, dass die Kontakte zwischen Wehner und Honecker enger sind, als der Öffentlichkeit bekannt.« Das stand im
Spiegel
vom 2. September 1974, also wenige Wochen nach dem von Wehner initiierten Treffen im Grunewald.
So falsch lag Blüm mit seiner Vermutung also nicht. Und da diese Annahme in Moskau geweckt worden war, konnte man daraus schließen, dass der Kreml über eigene Quellen verfügte, die die geheimen deutsch-deutschen Gespräche vermeldet hatten.
Pöhl – er sollte 1980 Präsident der Bundesbank werden – trug Schalck die Liste der im Auftrag von Schmidt zu verhandelnden Punkte vor. Sie enthielt auch jene Positionen, die Honecker Wehner hatte wissen lassen, etwa den Bau einer Autobahn von Westberlin nach Hamburg und Verhandlungen über den Mindestumtausch. Seit 1964 mussten nämlich Bundesbürger bei der Einreise in die DDR pro Tag fünf D-Mark im Verhältnis 1:1 in DDR-Mark umtauschen, Westberliner drei. Rentner und Kinder waren von diesem Zwang befreit. Im Vorjahr, also 1973, waren die Unterscheidung von Bundesbürger und Westberliner auf-und der Tarif angehoben worden. Alle westlichen Ausländer mussten pro Person und Tag 20 D-Mark zahlen. Lediglich der Besuch der DDR-Hauptstadt war preiswerter, er kostete die
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