Schalmeienklänge
Brant. Und dann: »Wenn du wegläufst, Junge, kostet dich das deinen Kopf.«
Er stand drohend über mir, eine massige, dunkle, verschwommene Gestalt, und riß mich hoch. Dann schlugen seine Fäuste wieder zu.
Als die Mißhandlung vorüber war, lag ich schluchzend im Staub.
Etwas später döste ich ein oder wurde ohnmächtig. Noch später wachte ich auf, rang um Atem und starrte in die Finsternis draußen und drinnen.
Hätte man mich, ehe ich aus dem Fenster der »Tanzenden Spinne« geklettert war, aufgefordert, mein Leben darauf zu verwetten, daß Brant, so rücksichtslos er sein konnte in seinem Zorn, weder nachtragend noch boshaft war, so wäre ich diese Wette sorglos eingegangen. Ich hätte gesagt, daß der Junge, den ich geliebt hatte, vielleicht hart, aber nicht roh und kein Mann geworden ist, der auf Enttäuschung mit Strafen reagierte. Brants Fäuste hatten mich widerlegt. Als ich benommen vor Schmerz am Boden der zerfallenen Hütte lag, war mir klar, daß er mir den Glauben in meine eigene Urteilskraft ausgetrieben hatte. Wenn ich mich derartig täuschen konnte, vermochte ich nicht zu urteilen. Erinnerung und Urteilsfähigkeit waren gleichermaßen zu einem dunklen Abgrund geworden, der nicht nur die Vergangenheit, sondern auch meine Fähigkeit zur Einschätzung der Gegenwart Lügen strafte. Brant hatte mehr als nur meinen Körper zerschlagen, und ich fragte mich, ob er es wußte und vielleicht sogar beabsichtigt hatte.
Wenn ich einatmete, durchzuckte mich heftiger Schmerz. Allmählich ließ er nach. Ich spähte in die Finsternis und erschauerte bei jedem Geräusch, das von einem Schritt hätte stammen können. Endlich schlief ich ein, und als ich wieder erwachte, strömte Sonnenlicht durch die zerfallene Mauer.
Brant saß ein Stück von mir entfernt am Boden mit auf die angezogenen Knie gesenktem Kopf. Ich sah, wie sein dichtes Haar nach vorne fiel und seine Knöchel weiß hervortraten, wo sie seine Beine umklammert hielten. Es war eine Haltung des Leidens und der Zerknirschung, und daß er nun einen solchen Eindruck zu erwecken vermochte, erschien mir als eine so gemeine Blasphemie, daß ich zu zittern begann. Er hob den Kopf. Er hatte vor Schlaflosigkeit dunkle Ringe unter den Augen; sein Gesicht wirkte vollkommen ausdruckslos.
»Steh auf. Es ist Morgen.«
Ich erhob mich halbwegs auf die Beine, zuckte zusammen, biß die Zähne auf die Unterlippe und rappelte mich hoch. Als er näher trat, begann ich zu zittern, und er blieb stehen.
»Du kannst reiten. Du glaubst, es geht nicht, aber du kannst.« Mir fiel auf, daß meine Fesseln durchschnitten waren. Ich dachte, wie nahe mir das Messer gekommen war, während ich geschlafen hatte, und biß mir wieder auf die Unterlippe.
Das Aufsteigen war eine Qual. Der Junge, dessen grobschlächtiges Gesicht bleich und verängstigt wirkte, half mir hinauf und nahm dann die Zügel meines Ponys. Brant ritt voran, den Weg von gestern abend zurück und dann auf den Palast zu. Jedes Schaukeln des Ponys unter meinen Schenkeln jagte mir Wogen des Schmerzes durch Rückgrat und Bauch bis in die Schultern.
Es tat weh, aber es waren keine wirklichen Schmerzen mehr. Brant hatte recht: Ich konnte reiten. Unter meinen Kleidern befanden sich mit Sicherheit schrecklich aussehende Prellungen, doch kein einziger Bluterguß in meinem Gesicht; er hatte mich nicht ins Gesicht geschlagen. Er hatte mir keine Knochen gebrochen, keine Zähne ausgeschlagen und keine lebenswichtigen Organe mit seinen Fäusten verletzt. Und er hatte nicht das naheliegendste Instrument männlicher Rache eingesetzt, Vergewaltigung. Vergewaltigung wäre nicht sichtbar und hinterließe keine Verstümmelungen, falls es ihm darum gegangen war. Ich wußte nicht, worum es ihm ging. Ich wußte überhaupt nichts.
Einmal drehte er sich im Sattel um, und als ich seinen Blick auf mir ruhen fühlte, zuckte ich zusammen und ballte die Fäuste. Es geschah unwillkürlich.
Die Sonne stieg höher. Wir ritten durch grüne Sommerwälder, die vom Sonnenschein gesprenkelt waren, nach Wildblumen und sauberem Laub dufteten. Als die Bäume sich lichteten, strauchelte Brants Pferd.
Per Zufall hatte ich hochgeschaut und so deutlich, deutlicher vielleicht, als Brant lieb war, gesehen, was er getan hatte. Auf einem glatten, langen Wegstück hatte Brant sein Pferd plötzlich zu kurzem und dann zu halsbrecherischem Galopp angetrieben. Plötzlich schoß sein rechter Arm hervor, als hätte er mit aller Macht am Zügel gerissen. Der
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