Schalmeienklänge
Baum verwandelte, den Männer mit Äxten bearbeiteten und nicht einmal einen Schnitzel davon abhieben. Dann wurde der Baum zu einem See, der so still und kühl zwischen meinen Händen ruhte und von so tiefem Blau war, daß es nicht schwerfiel zu glauben, daß er tatsächlich grundlos war. Ich stellte die Geschichte von der Wiedergeburt T’Nigs dar.
Nein, ich stellte sie nicht dar. Jemand stellte die Geschichte durch mich aus einem Grund dar, den ich nicht wissen konnte, und bot sie genau auf die Weise, wie das Publikum sie am besten aufnahm: schneller als bei Maskenspielen, überraschender als mit lebendigen Schauspielern und mit Bildern durchwebt, die in der bedrückenden Hitze kalt und scharf wirkten. Die Höflinge beugten sich nach vorn, unterhielten sich über die Aufführung wie Kinder und vergaßen ganz den Schweiß auf ihren Gesichtern. Einige, die zu weit entfernt saßen, um deutlich zu sehen, waren von ihren Bänken und unter ihren Baldachinen hervorgesprungen und scharten sich dicht um die Bühne, ohne sich um die grelle Sonne zu kümmern. Sogar Rofdal auf seiner Empore sah nicht mehr so verdrießlich drein und beugte sich nach vorn, um die Bühne zu beobachten. Ich konnte ihn deutlich sehen; ich konnte alles deutlich sehen, ohne Gefahr zu laufen, mich von der Geschichte ablenken zu lassen. Es war nicht meine Geschichte. Ich hatte nichts von dem, was sich zwischen meinen Händen abspielte, in der Gewalt.
Weit oben saß Königin Leonore reglos auf ihrem Podium.
Die Sage von T’Nig lief weiter. Auf mich wirkte sie wie ein hübsches Märchen, das nur durch die Deutlichkeit seiner Bilder bemerkenswert schien, aber ich stammte auch nicht aus Veliano. Der Hof flüsterte, lachte und schaute gespannt zu, und mir war klar, daß meine wortlose Geschichte in ihren Herzen, die sie die Sage seit ihren Kindertagen kannten, Gefühle und Reaktionen auslöste, die ich nicht teilen konnte.
Dann bildete der Nebel schließlich den namenlosen Krieger, der T’Nig erschlagen würde, und als ich hörte, wie der Hof den Atem anhielt, hörte ich mich ihn mit anhalten. Der heldenhafte Krieger, der in seiner Jugend und seinem Ruhm in unnatürlichem Feuer erstrahlte, war Rofdal.
Diesmal packten mich also keine Wachen bei den Armen, und keine gehäuteten Gestalten trübten die Bedeutung meiner Geschichte. Der Rofdal-Krieger schritt auf T’Nig zu, der nun ein riesiger Eber war, der ihm an Kraft und Entschlossenheit gleichkam. Der Kampf zwischen den beiden zog sich in die Länge, und die ganze Zeit über ließ die Aufmerksamkeit des Hofes nicht nach. Die Höflinge saßen nicht auf grob gezimmerten Bänken an einem schwülen Abend, sondern sie fochten mit Rofdal gegen T’Nig, und als der heldenhafte Krieger schließlich den Mann-Eber tötete und seinen riesigen Kadaver in die Luft schleuderte, daß er zu dem silbernen Stern über Veliano wurde, blickte der Hof wie ein Mann zum Himmel, und dort funkelte T’Nig, der Mittsommerstern, aus einem Spalt zwischen den ruhelos ziehenden Wolken.
Dann ertönte der Applaus.
Ich stand in Schweiß gebadet und hatte gerade noch die Geistesgegenwart, mich ungeschickt zu verbeugen. Lords und Ladys, Gaukler und Junker stießen beim Anblick des Sterns über sich begeisterte Rufe aus (hatte die Geschichte sie so mitgerissen, daß sie tatsächlich glaubten, ich hätte das vollbracht?), deuteten nach oben, lachten und riefen einander zu. Dann erhob sich der König selbst, balancierte auf seinem einen Bein, und man führte mich von der Bühne zu ihm; alles verlief so ganz anders als bei meinem letzten Auftritt, außer daß ich für das alles nichts konnte. Daran hatte sich nichts geändert.
»Du hast also diesen Weg gewählt, um mir deine Ehrerbietung zu zeigen und dich zu rehabilitieren«, sprach Rofdal dröhnend, und sein Lächeln war gleichzeitig freundlich und halbherzig. »Sehr hübsch. Das ist deine Darstellung der Erzählung von T’Nig?«
»So entstand sie zwischen meinen Händen, Euer Gnaden«, sagte ich und dachte, daß keine anderen Worte die Wahrheit hätten so präzise treffen können.
»Dann sind deine Hände äußerst erfinderisch«, meinte Rofdal. »Wenn ich auf die eine Art nicht auf die Bühne komme, so auf die andere. Eine hübsche Ehrenbezeigung und eine unterhaltsame Aufführung. Zu häufig sind die hier gebotenen Unterhaltungen schal und abgeflacht.«
Ich fragte mich, ob seine Worte Leonore galten, die den Unterhaltungsteil zusammengestellt hatte. Ich wagte es nicht, nach
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