Schalmeienklänge
Brant log, und das nicht nur, um Jorry zurückzubekommen.
»Brant. Wenn du mich hörst, ball deine linke Faust.«
Die Faust schloß sich. Mir ihr hatte er mich verprügelt.
»Brant. Denk an den Ort, zu dem du Jorry schicktest. Hörst du, deine Bewußtseinskünste kommen nicht gegen meine Macht der Weißen Schalmeien an. Denk daran, was ich tun müßte, um zu Jorry zu gelangen. Jetzt, Brant.«
Pinkfarbener Nebel kreiste zwischen meinen Handflächen. Es wurden zwei Figuren daraus: eine winzige Fia und eine prachtvoll gekleidete Frau, die Brant so sehr ähnelte, daß ich erschrak. Seine Schwester Malda. Ich hatte niemals gewußt, daß er eine Schwester hatte. Sie führte die Fia-Gestalt zu einem dritten, plötzlich aus einer Nebelschwade entstandenen Charakter, der die Lederrüstung eines Wachsoldaten in einem bedeutenden Stadthaus trug. Sein Gesicht war beherrscht, und er hatte den Blick eines getreuen Hundes. Er und die Fia-Figur bestiegen Ponys und begannen zwischen meinen Händen im Kreis zu reiten. Der Rundritt dauerte endlos an. Die Ponys mühten sich sehr, als bewältigten sie einen schweren Anstieg. Als sie schließlich anhielten und die beiden Personen abstiegen, war er da und kam auf mich zugelaufen.
Jorry. Gesund, wohlauf, braungebrannt, im Seidenzeug eines jungen Edelmannes, und sein Gesicht strahlte vor Freude.
Ich führte meine Hände nicht zusammen. Ich beobachtete, wie die winzige Fia und der winzige Jorry sich umarmten, noch lange Zeit, als sie sich schon längst nicht mehr regten, sondern stillstanden. Viel später begannen die Figuren zu verblassen, doch ich betrachtete sie noch immer. Als ich schließlich die Hände faltete, war ohnehin nichts mehr da.
Brant hatte mir die Wahrheit gesagt. Ungebeten, noch ehe er wußte, daß ich mich im Besitz der Weißen Schalmeien befand, ehe er Grund hatte zu der Annahme, daß eine Lüge mich nicht so gut hätte überzeugen können, ihm zu helfen. Er hatte mir die Wahrheit gesagt.
Vor der Hütte erklangen Rufe. Ich lief zur Tür. Der nächststehende meiner Wachsoldaten kreuzte die Klinge mit einem Fremden, und hinter ihnen spannte ein Mann seinen Bogen. So schnell! Wie hatten Leonores Leute uns so schnell aus dem Palast folgen können?
Der Bogenschütze schoß den Pfeil ab, und der Mann, den ich entführt hatte, fiel mit einem Pfeil im Rücken nach vorn. Ich sah sein Gesicht beim Sturz und blies hektisch und ohne nachzudenken immer wieder in die Schalmeien, sah ich doch die Augen des Mannes vor mir, den nur der Augenblick des Todes von meinem Zauber erlöste.
Bogenschütze und Schwertkämpfer erstarrten.
»Kommt hierher!« schrie ich. »Kommt alle hierher, die ihr meine Stimme hören könnt, kommt, kommt auf der Stelle!«
Sie kamen und bewegten sich mit natürlichem Gang, aber ausdruckslosen, unnatürlichen Gesichtern. Es waren mindestens vierzig Männer, von denen ich nicht einen kannte. Keiner stammte vom Palast. Ich bemerkte ihre wettergegerbten Gesichter und ihre mit alten Fettflecken und Regenschlieren besudelten Lederwämser. Ein Mann trug ein weit kostbareres Schwert als die anderen, dessen Korbgriff mit Silberblättern verziert war.
»Du. Wer hat dich hierher geschickt?«
»Königin Leonore.« Auch seine Stimme klang so natürlich, daß ich befürchtet hätte, er hätte den Zauber der Schalmeien abgeschüttelt, wären da nicht seine Augen gewesen.
»Und die anderen?«
»Ebenso.«
»Wie lauteten eure Befehle?«
»Die Geschichtenspielerin und Lord Brant zu töten und die Weißen Schalmeien zurückzubringen.«
»Wißt ihr, was es mit den Weißen Schalmeien auf sich hat?«
»Ich weiß es«, antwortete er, und aus seiner Stimme klang so eiserne Entschlossenheit, daß meine Finger sich automatisch um die Schalmeien krampften.
»Verstehst du dich auf die Bewußtseinskünste?«
»Nein.«
»Einer von den anderen?«
»Einige schon.«
»Wieviel Mann? Genau?«
Er dachte nach. »Acht.«
»Woher kommt ihr?«
»Aus unseren Verstecken in den Wäldern.«
»Hat Leonore noch mehr Leute in diesen Wäldern?«
»Ja. Und auch hoch in den Bergen. Und am Hof.«
»Wie viele, die auf eine Nachricht vom Hof bei Abenddämmerung hiersein könnten?«
Wieder dachte er nach. »Etwa noch einmal so viele, wie ich anführe.«
»Und wie viele bei Hofe?«
»Eine Handvoll Bewaffnete. Außerdem die Königin, Lord Perwold, Lord Evtor, Lady Kaleena…« Mein Herz tat einen Sprung, als ich an das Kinderzimmer dachte. »Lord Sarpir, Lady Caldela…«
»Das genügt.
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