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Schalmeienklänge

Schalmeienklänge

Titel: Schalmeienklänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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er hatte Jorry um dessen Sicherheit willen fortgeschickt und mir den Ort nicht verraten, damit Leonore mir das Wissen darum nicht abringen konnte; er hatte mir zweimal Rofdals Gunst verschafft, damit ich gegen Leonore geschützt war; er hätte mich gewaltsam aus ihrer Reichweite schleppen lassen, wenn er nicht selbst zuvor festgenommen worden wäre.
    Aber Brant konnte jetzt nicht mit mir fliehen. Er hatte schon Fieber; ein feuchter Film schimmerte auf seiner Stirn und seinen Wangen. Und Perwold hatte aus ihm herausgeprügelt, daß Jorry lebte und an einen vermutlich sicheren Ort gebracht worden war.
    Ich erhob mich vom naßkalten Boden und ging aus der Hütte, den Weg zurück zum nächsten von Eallows Männern, um ihm seinen kurzen Dolch aus dem Gürtel zu ziehen. Die Klinge war sehr scharf. Ich hielt sie von mir abgewandt, bis ich sie an Brants Kehle setzte.
    Sein Körper war zu übel zugerichtet, als daß er mit mir hätte fliehen können. Ließ ich ihn zurück, würde er so lange gefoltert, bis er Jorrys Versteck preisgäbe. Leonores Männer könnten weit schneller nach Erdulin reisen als ich und wären vor mir bei Jorry.
    Falls sie von Brant erführen, daß Jorry in Erdulin versteckt gehalten wurde.
    Meine Hand zitterte. Hinter der Hütte lag ein Toter mit einem Pfeil im Rücken, aber das war etwas anderes. Etwas ganz anderes.
    Dann wandte Brant mir das Gesicht zu, und seine Augen waren wieder normal.
    Mir stockte der Atem. Der Zauber hatte ihn nicht über Stunden in seinem Bann gehalten, nicht einmal für eine.
    Er sagte: »Weniger… bei einem mit Bewußtseinskünsten. Die Schalmeien wirken, aber nicht so lange.« Er schaute mich an, mein Messer zitterte an seiner Kehle, aber ich nahm es nicht fort.
    »Jorry. Du würdest ihnen verraten, wo er ist. Das würdest du, Brant, wenn man dich lange genug folterte…«
    Ich sah, wieviel Überwindung ihn die Antwort kostete. »Ja. Wenn… man mich lange genug foltert.«
    »Ich weiß nicht, wie man es richtig macht!« rief ich unter Tränen, dann hörte ich Schreie vor der Tür, das Klingen von Stahl auf Stahl, und ein Pfeil schlug durch die Tür und eine Handbreit von meinem Schenkel entfernt in den schmutzigen Boden.
    Diejenigen, die die Bewußtseinskünste beherrschten. Geringere Wirkung!
    Ich schnappte die Schalmeien und blies. Der Lärm hinter der Hütte brach ab. Ich sprang auf die Beine und blies und blies. Irrsinnige, üppige, boshafte Freude durchflutete mein Inneres.
    »Eallow!«
    Er kam. Sein Schwert war blutig.
    »Die mit den Bewußtseinskünsten«, sagte ich und hörte, wie meine Stimme bebte. »Versuchen sie anzugreifen?«
    »Ja«, antwortete Eallow ruhig.
    Ich schloß die Augen. »Töte alle acht. Jetzt. Schnell!«
    »Zwei sind schon tot.«
    »Wie viele von deinen… wie viele andere?«
    »Drei.«
    Ich schloß die Augen.
    »Töte die anderen sechs, die sich auf die Bewußtseinskünste verstehen. Tu es so gnädig, wie du nur kannst, aber tu es sofort.«
    »Ja«, erwiderte Eallow. »Sofort.«
    Brant lag noch wie zuvor am Boden. Er hatte nicht versucht, von mir fortzukriechen oder sich mit dem Bogen in seiner Nähe zu bewaffnen. Ich wußte nicht, ob er dafür die Kraft besessen hätte. Ich verstand nichts von Verletzungen und Kampf – außer daß ich gerade sechs Männer umgebracht hatte. Ich stand mit dem Dolch in der Hand in der Tür der Hütte. Plötzlich konnte ich nicht mehr klar sehen; alles verschwamm mir vor den Augen. Sonnenlicht von der Tür fiel auf den Dolch, und ich nahm undeutlich sein Blitzen wahr, ein grelles, scharf metallisches Funkeln. Es war Eallows Schwert, das irgendwo hinter mir sechs Männer niedermachte, es war Brants Schwert, das sein Pferd tötete, es waren Perwolds Peitsche und die Schindungsmesser, mit denen man Ard gequält hatte. Und es strahlte wie die Weißen Schalmeien. Ich mußte Brant die Spitze an die Kehle setzen und sie so tief wie möglich darüberziehen.
    Ich lockerte die Finger, daß der Dolch zu Boden fiel.
    »Nein. Nein. Ich will nicht.« Und noch einmal: »Nein.«
    Brant beobachtete mich.
    »Ich will dich nicht töten«, erklärte ich. »Ich will nicht. Nein. Dich nicht. Ich will nicht.«
    »Jorry«, flüsterte er.
    Ich schlug die Hände vors Gesicht, um ihn, den Dolch zu meinen Füßen und alles andere nicht mehr zu sehen. »Ich will nicht.«
    Die Zeit erbebte und verstrich. Dann ertönte ein Geräusch in der Hütte. Ich nahm die Hände von den Augen. Brant kroch auf Händen und Knien mit schmerzverzerrtem Gesicht

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