Schalom
nachzudenken. Er erzählte ihr, dass er am Wochenende im Norden des Landes sein würde, und fragte, ob er sie wieder besuchen dürfe. Natürlich freute sie sich darüber, und als er fragte, ob sie ihm ein gutes und preiswertes Hotel empfehlen könne, schimpfte sie mit ihm, weil er überhaupt auf diesen Gedanken gekommen war, und bevor sie begriff, lud sie ihn schon zu sich ein.
»Von mir aus ist das in Ordnung, aber …«
Sie hörte das Zögern in seiner Stimme und ließ ihn nicht zu Ende reden.
»Kein Aber«, sagte sie entschieden. »Du kommst zu mir!«
»Ich freue mich natürlich sehr, aber …«
Wieder unterbrach sie ihn, »Kein Aber …«
»Großmutter«, sagte er leise, »es gibt ein Problem.«
Sie war erstaunt, diese feinen Veränderungen in seiner Stimme zu erkennen, Nuancen, die sie von Menachem kannte.
Sie sprach sanft, um es ihm leichter zu machen: »Was ist das Problem?«
»Ich bin nicht allein«, sagte er.
»Und warum ist das ein Problem?«, fragte sie, und noch bevor er antwortete, begriff sie, dass sie aufdringlich wurde. Es war doch klar, dass sie zwischen ihm und seiner Freundin nichts zu suchen hatte und dass sie ihn nicht zwingen konnte, bei ihr zu wohnen, statt ein Wochenende im Hotel zu verbringen.
»Für mich ist das kein Problem«, sagte er, »aber mein Freund …«, er verstummte.
»Was ist mit deinem Freund?«, sagte sie und freute sich, dass die Sache einfacher war, als sie dachte.
»Vielleicht würdest du nicht wollen, dass er dabei ist.«
»Warum sollte ich es nicht wollen …«, fragte sie, und dann begriff sie. »Ist er von dort?«
»Ja«, sagte er, »er ist auch ein Deutscher.«
»Dann kommst du allein, er soll im Hotel schlafen«, entschied sie.
Auf seinen Abschiedsgruß antwortete sie mit einem leisen Gemurmel.
Als sie aufgelegt hatte, blieb sie vor dem Apparat stehen und starrte ihn an. Der Deutsche würde ihr Haus keinesfalls betreten. Menachem hatte es sehr klar und deutlich ausgesprochen. Kein Deutscher! Sie erinnerte sich genau, dass Menachem damit auch Jakis Kinder gemeint hatte, aber daran wollte sie nicht denken.
Sie wusste nicht mehr, wer zuletzt bei ihr geschlafen hatte, außer Avri. Dessen Kinder, Guy, Orli und Na’ama, blieben bei ihr nie länger als wenige Stunden, wenn überhaupt, und keinesfalls über Nacht. Früher, als sie klein waren, hatten sie mit Vicky und Avri Urlaub bei ihr gemacht, dann hatten sie das Wohnzimmer in ein Schlafzimmer verwandelt, und obwohl Nechama die Unordnung etwas beschwerlich fand, empfand sie die jugendliche Unbekümmertheit als so erfrischend, dass sie die Unbequemlichkeiten gern auf sich nahm. Aber sie konnte sich nicht erinnern, wann so etwas zuletzt stattgefunden hatte. Avris Kinder waren nach und nach erwachsen geworden und ihre Besuche waren ausgeblieben, erst hatte Guy aufgehört zu kommen, danach Orli und Na’ama, und zuletzt kamen nur noch Vicky und Avri und blieben nicht mehr über Nacht. Diese Besuche hatten ganz einfach aufgehört. Und jetzt würde ihr neuer Enkel zu ihr kommen. Vielleicht um nachzuholen, was er in seiner Kindheit verpasst hatte.
Wieder war der Kaffee kalt geworden, bevor sie ihn trinken konnte, doch diesmal stellte sie ihn nicht in die Mikrowelle. Avri hatte bereits angerufen, also gab es keinen Grund, den Gang zum Lebensmittelladen zu verschieben. Fast hätte sie die Brötchen vergessen, aber der kalte Kaffee weckte ihren Appetit. Wenn sie jetzt nicht mehr ganz so frisch waren, würde sie eben nur ein Brötchen fürs Frühstück kaufen. Sie stellte die Tasse mit dem kalten Kaffee auf den Tisch, nahm ihr Portemonnaie und machte einen Schritt zur Tür, als das Telefon sie wieder aufschreckte. Vermutlich würde sie sich nie an dieses plötzliche Klingeln gewöhnen. Es ließ sie jedes Mal aufs Neue erstarren, bis sie begriff, dass es nur das Telefon war.
Wer konnte das jetzt sein? Avri und Gil hatten doch schon angerufen, und es war auch nicht Zilas gewohnte Zeit.
Ohne die Tasche abzulegen, sagte sie in den Hörer: »Guten Morgen, Nechama am Apparat.«
»Guten Morgen, Mutter!«
Diesmal erkannte sie seine Stimme sofort und ohne Zögern.
»Jaki?«, sagte sie erfreut.
»Ja, ich bin’s«, sagte er.
»Ich habe gerade mit ihm telefoniert«, sagte sie.
»Mit wem?«, fragte Jaki verwundert.
Sie antwortete nicht. Lange blieb es still in der Leitung. Sie wusste, dass er von ihrer Begegnung mit Gil hören wollte, aber aus irgendeinem Grund wünschte sie sich, dass er es ausdrücklich
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