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Schalom

Titel: Schalom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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anderen und schwiegen. Dann fand sie ihre Stimme wieder und sagte leise:
    »Mach dir keine Sorgen, Jaki, dein Sohn ist in Ordnung. Nein, er ist mehr als in Ordnung, ich denke …«
    »Was ist, Mutter, was denkst du?« Sie hörte, dass auch seine Stimme zitterte, und wusste, dass er ebenfalls einen Kloß im Hals hatte.
    »Ich glaube, dass ich ihn sogar liebe«, sagte sie.
    Nun zitterte seine Stimme wirklich. »Danke, Mutter.«
    Tränen traten ihr in die Augen. Seit jenem Tag, an dem er das Haus verlassen hatte, hatte sie keine hörbare Erregung in seinen Worten wahrgenommen, auch nicht, als er zu Menachems Beerdigung gekommen war, und nicht, als er sie einmal »die geliebteste Mutter der Welt« genannt hatte.
    Jetzt wusste sie, dass er, trotz allem, was zwischen ihnen passiert war und nach all diesen Jahren der Entfernung, in denen sie nicht an seinem Leben hatte teilnehmen dürfen, ihr geliebter Jaki geblieben war, und sie sagte: »Schalom, mein Kind.«
    Leise legte sie auf, wischte Nase und Augen ab und hörte nicht auf, das Telefon anzustarren.

10
    Professor Sad schaute nach rechts und nach links, und da er niemanden vor sich oder neben sich sah, zögerte er nicht länger und befreite sich leise von dem Druck in seinem Bauch. Die Griffe der schweren Tasche schnitten in seine Hände und bis zu seiner Wohnung war es noch ein ganzes Stück. Es gab keinen Grund, diesen Druck noch weiterhin in den Gedärmen zu behalten. Außerdem, im Freien verschwand der Gestank, bevor irgendjemand es merkte, und wegen des Straßenlärms war nichts zu hören. Er hatte zwar darauf geachtet, dass niemand vor ihm oder neben ihm ging, aber er hatte sich nicht die Mühe gemacht, sich umzudrehen.
    »Ach, der Nachbar von meiner Großmutter, wir haben uns neulich auf der Treppe getroffen. Falls Sie nach Hause gehen, kann ich helfen und die Taschen tragen.«
    Professor Sad hob den Blick, als er plötzlich angesprochen wurde, und erschrak noch mehr, als er das Gesicht des Herrn Silber vor sich sah, seines verstorbenen Nachbarn, auf einem kräftigen und jungen Körper. Seltsam, dass er diesen Enkel nie gesehen hatte. Als er im Treppenhaus an ihm vorbeigegangen war, war ihm die Ähnlichkeit nicht aufgefallen, doch jetzt wurde ihm klar, dass er den jungen Mann nicht kannte. Hatte er etwas gehört? Oder gerochen?
    »Nein danke, nicht nötig«, antwortete er schnell und sofort tat es ihm leid. Die Weißweinflasche und die Konserven waren sehr schwer und die Taschengriffe schnitten in seine Finger.
    Trotzdem: Woher hatte dieser Junge die Frechheit, jemanden anzusprechen, mit dem er noch nie ein Wort gewechselt hatte, nur weil er ihn einmal im Treppenhaus seiner Großmutter gesehen hatte? Oder hatte er doch etwas gehört oder gerochen und tat jetzt nur so höflich, um die Verlegenheit zu überspielen?
    Nein, nein. Er durfte niemanden in seinen privaten Bereich eindringen lassen, nur weil dessen Großmutter im selben Haus wohnte, auch wenn diese Großmutter zufällig Frau Silber war. Er schaute den Jungen nicht an, spürte aber, dass er neben ihm herlief, ohne seine Schritte zu beschleunigen. Scheute er den Jungen, weil er fürchtete, sich blamiert zu haben?
    »Sind Sie schon lange Großmutters Nachbar?«
    Jetzt wollte er ihn auch noch in seine Familienbeziehungen hineinziehen und nannte sie Großmutter, als wäre sie auch seine Großmutter. Er antwortete nicht und ging langsam weiter. Seine Hand tat weh von der Tasche, das Blut wurde abgeschnürt, bestimmt wurden seine Finger lila. Doch wegen dieses unverschämten jungen Mannes konnte er sich nicht einmal eine kurze Pause gönnen.
    Der junge Mann ließ nicht locker. »Bestimmt kannten sie meinen Großvater«, sagte er.
    »Wissen Sie was?«, zischte Professor Sad plötzlich. »Tragen Sie diese Tasche.«
    Der Junge schaute ihn verwundert an, streckte aber sofort die Hand aus und ergriff die schwere Tasche.
    Professor Sad bewegte die befreiten Finger und spürte genüsslich, wie das Blut wieder anfing zu fließen.
    »Ich danke Ihnen, junger Mann«, sagte er.
    »Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite«, sagte der junge Mann und lächelte, genau wie Herr Silber gelächelt hatte.
    Bis zum Haus war es noch ein ganzes Stück, aber er hatte nicht vor, sich mit dem Jungen anzufreunden, nur weil er seine Tasche trug.
    Der Junge ging neben ihm her, trug die schwere Tasche und schwieg. Nach einer Weile wurde es dem Professor unangenehm. Warum war er immer so unfreundlich? Dieser naive Junge hatte ihm seine Hilfe

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