Scham und Schamlosigkeit: Die wahre Geschichte der Marianne Dashwood (German Edition)
seines Pferdes. “Ein wunderschönes Tier.”
“Und treu wie ein Hund”, sagte der Oberst.
Nun, wenn ich schon einen unfreiwilligen Spaziergang machen musste, warum nicht in Begleitung? “Möchten Sie mich ein Stück begleiten, Oberst Brandon?”
Sofort reichte er mir den Arm. “Mit dem allergrößten Vergnügen, Miss Marianne.”
Die Zeit mit Oberst Brandon verging wie im Flug, er war sehr belesen, wir kannten die gleichen Bücher, teilten die Liebe zur Musik, und er verstand es, unterhaltsam zu erzählen. Ich war überrascht, als ich bemerkte, dass es bereits dämmerte, als wir wieder am Cottage angelangten.
Er begleitete mich bis zur Haustüre und zu meiner Überraschung küsste er mir die Hand. Das hatte er zuvor noch nie getan, er war immer höflich, sein Interesse an mir unverkennbar, aber er blieb immer auf Abstand. Bis zu diesem Tag. Sein Kuss war mir nicht unangenehm, ganz im Gegenteil, und ich hatte den Oberst bei dem Spaziergang von einer Seite kennen gelernt, die mir durchaus gefiel. Aber die leichte Berührung seiner Lippen erinnerte mich wieder an Willoughby, an den ich in den letzten Stunden nicht mehr gedacht hatte.
Ich sah Brandon nach, wie er davon ritt und ging gut gelaunt hinein, um mich bei Mutter und Elinor für mein unmögliches Verhalten zu entschuldigen. Und ich freute mich auf ein Wiedersehen mit Brandon und den gemeinsamen Ausritt.
12
Der Tag der Schnitzeljagd bei Oberst Brandon kam, ohne dass zuvor eine Nachricht von Willoughby eingetroffen war. Mein Aufregung wegen seiner Ankündigung, mich bald wieder in sein Haus einzuladen, war einer dumpfen Resignation gewichen. Er würde mich zu sich rufen – nein, befehlen, wenn ihm danach war. Vermutlich war es gerade meine nicht erfüllte Erwartung, an der er sich erfreute. Er schien sich überhaupt eher am Zusehen zu berauschen, und daran, dass er die Fäden in der Hand hielt und die Menschen lenkte wie ein Puppenspieler, als dass er sich selbst daran beteiligte, und ich fragte mich, ob es dafür einen besonderen Grund gab. War ich der Grund? War er gar nicht an mir interessiert, war ich nur ein Mittel zum Zweck?
Oberst Brandon hatte die gesamte Nachbarschaft eingeladen, selbst unser Halbbruder John Dashwood und Fanny würden anwesend sein, natürlich Mrs Jennings, ihre Tochter und deren Ehemann Mr Palmer, ein mürrischer und immer schlecht gelaunter Mensch, den seine Tageszeitung weit mehr zu interessieren schien als seine Gattin. Viele Namen waren gefallen, nur einer nicht. Ich hatte keine Ahnung, ob Willoughby auch dort sein würde. Aber in wenigen Minuten würde ich es wissen. Ich hoffte nur, dass ich in der Lage sein würde, in seiner Gegenwart reserviert und keusch zu erscheinen.
Als wir auf Oberst Brandons Anwesen eintrafen, war bereits eine illustre Gesellschaft versammelt. Einige – darunter Mutter und Elinor, sowie Mrs Jennings und Fanny – zogen es vor, auf der Terrasse zu bleiben und die Jagd von weitem zu verfolgen, während ich mich mit meinem Reitpferd vertraut machte, einer wunderschönen schwarzen Stute.
“Seien Sie vorsichtig, Miss Marianne”, sagte Oberst Brandon, als er mir beim Aufsitzen half. “ Titania braucht eine harte Hand, sie versucht gelegentlich ihren Willen durchzusetzen.”
Ich lachte. Es gefiel mir, dass er mir ein Pferd ausgesucht hatte, das so temperamentvoll war. “Ich werde schon mit ihr fertig werden, ich sitze nicht zum ersten Mal auf einem Pferd, verehrter Oberst. Aber sagen Sie, warum haben Sie Titania gewählt, wenn sie so schwer zu zügeln ist?”
Er ließ sich mit der Antwort Zeit, bestieg zuerst sein eigenes Pferd. Dann sah er mich an. “Ich denke, weil sie Ihnen so ähnlich ist, Miss Marianne.” Er gab dem Hengst die Sporen und galoppierte davon.
Es lag schon lange zurück, dass ich zum letzten Mal geritten war, und ich hatte es vermisst. Warum hatte ich das Angebot des Obersts nicht schon früher angenommen? Ich trieb Titania an und holte ihn bald ein. Ich genoss den frischen Wind auf meinem Gesicht, das Muskelspiel des Pferdes unter mir, die Freiheit, die ein solcher Galopp vermittelte. Und ich genoss Brandons unaufdringliche Begleitung und sein Vertrauen in mich und meine Fähigkeiten, das er mit der Auswahl des Pferdes bewiesen hatte. Vielleicht hatte ich doch zu vorschnell über ihn geurteilt. Er gab eine gute Figur im Sattel ab und wirkte an diesem Tag alles andere als alt und langweilig.
Vor einem breiten Graben zögerte ich, die Stute spürte meine
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