Scham und Schamlosigkeit: Die wahre Geschichte der Marianne Dashwood (German Edition)
ab. Ich habe ebenfalls Ihre Schwester, Miss Elinor, in Kenntnis gesetzt, dass Sie genesen sind und nach Hause kommen werden. Meine Kutsche steht zur Ihrer Verfügung bereit, Molly wird Ihnen behilflich sein. Ich wünsche Ihnen alles erdenklich Gute. Ihr John Willoughby.
Wenn das wieder eins seiner Spielchen sein sollte, so verstand ich es nicht. Was erwartete er von mir? Dass ich ihm folgte, dass ich seiner Rückkehr harrte?
Molly bürstete meine Haare und ich suchte ihren Blick im Spiegel. “Wann ist er abgereist?”, fragte ich. “Und wann wird er zurückerwartet?”
“Mr Willoughby muss noch in der Nacht geritten sein, heute Früh war er bereits nicht mehr hier. Darüber, wann er zurück sein wird, weiß ich nichts.”
“Seine Tante wird es sicherlich wissen”, sagte ich mehr zu mir selbst. “Molly? Könntest du Mr Willoughbys Tante nach seinem Verbleib und seiner Rückkehr fragen?”
“Oh nein, Miss Marianne. Unter keinen Umständen darf ich das Wort an sie richten. Ich habe strenge Anweisungen von Mr Willoughby. Ich bin nicht sicher”, fügte sie hinzu, “ob sie überhaupt darüber informiert ist, dass mich ihr Neffe angestellt hat.” Das war verständlich, wenn man bedachte, wie speziell Mollys Aufgabenbereich in Willoughbys Haus war.
Molly half mir in das Kleid, das Elinor mir gebracht hatte. Versonnen strich ich noch einmal mit der Hand über die feinen Stoffe der prächtigen Roben in dem Schrank.
“Miss Marianne”, sprach mich Molly nach einer Weile an. “Sie sollten gehen und nicht zurückblicken. Dieses Haus und was darin vorgeht, ist nicht gut für Sie. Für niemanden. Ich werde diesen Ort ebenfalls verlassen, ich habe eine neue Stelle gefunden.”
“Warum sagen Sie so etwas?”, ereiferte ich mich. “Mr Willoughby ist ein Gentleman und ich bin sicher, dass er Ihnen ein guter Arbeitgeber ist. Wie können Sie es wagen, so über ihn zu reden?”
Sie senkte den Blick. “Verzeihen Sie. Ich wünsche Ihnen alles erdenklich Gute.”
“Leben Sie wohl, Molly”, antwortete ich kühl und ging zu der Kutsche, die vor dem Haus auf mich wartete.
Willoughbys Tante machte einen Besuch, so dass ich um die erniedrigende Aufgabe herum kam, ihr unter die kaltblickenden Augen treten und mich verabschieden zu müssen. Ich würde ihr später einen Dankesbrief schreiben.
Während der Kutschfahrt hielt ich Willoughbys Geschenk fest an mich gedrückt. Ich hatte noch keinen Blick hinein geworfen, zu sehr beschäftigte mich der Gedanke an seine überstürzte Abreise. Warum nur hatte er mich nicht einfach mitgenommen? Ich wäre ihm überallhin gefolgt. Nach London und bis ans Ende der Welt.
Elinor und Mutter empfingen mich mit offenen Armen an der Tür und als ich in ihre gütigen Gesichter blickte, überwältigte mich die Traurigkeit. Alle zurückgehaltenen Tränen drängten mit Macht an die Oberfläche. Ich weinte und war nicht in der Lage, damit aufzuhören, noch konnte ich ihnen sagen, was mich bedrückte. Ich wusste selbst nicht einmal, warum ich plötzlich in Tränen zerfloss.
So viele Male hatte Willoughby mich von sich gestoßen, hatte mich übersehen, herablassend behandelt oder mir ein Treffen verweigert, aber seine letzte Nachricht hatte etwas Endgültiges gehabt. Sie hatte wie ein Abschied für immer geklungen.
Elinor versuchte vergeblich mich zu beruhigen, sprach mitfühlend auf mich ein, hielt meine Hand, streichelte mein Haar, und als sie sich keine Hilfe mehr wusste, brachte sie mich zu Bett, wo ich in mein Kissen schluchzte, bis ich mich an das Päckchen erinnerte. Ich öffnete es und fand den Glasschwanz, den ich in der Nacht des Balls bei Oberst Brandon in dessen Bibliothek vorgefunden hatte. Ich nahm ihn aus der Schachtel, befühlte das kalte Material und schleuderte es an die Wand, so dass es in tausend Splitter zersprang. Kein lebloses Ding konnte mir ersetzen was ich verloren hatte. Ich wollte Willoughby und ich wollte ihn so sehr, dass es mir körperliche Schmerzen bereitete.
Erst spät am Abend verließ ich mein Zimmer und ging nach unten in den Salon, wo Mutter und Elinor über ihren Handarbeiten saßen. Sie kümmerten sich rührend um mich, reichten mir Tee und kalten Braten, aber es war mir unmöglich, etwas zu essen, nicht, wo ich alles verloren hatte, an dem mir je gelegen war.
So verbrachte ich die nächsten Wochen mit Weinattacken, trübsinnigen Gedanken und langen Spaziergängen zu dem Hügel, von dem aus man Willoughbys Haus sehen konnte. Elinor versuchte durch
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