Scham und Schamlosigkeit: Die wahre Geschichte der Marianne Dashwood (German Edition)
konnte sehen, wie schwer ihr das Sprechen fiel. “Wir haben uns getroffen, Spaziergänge unternommen, geredet. Mr Ferras hat ein so freundliches und gütiges Wesen.” Sie verstummte und ihre Augen glänzten feucht.
Ich umarmte sie und drückte sie fest an mich. “Aber das ist doch wundervoll! Er wird dir sicher einen Antrag machen. Wie könnte er einen so wunderbaren, klugen Menschen, wie du es bist, nicht lieben?”
Elinor befreite sich aus meiner Umarmung und trat ans Fenster. “Er wird mich nicht heiraten”, sagte sie. “Es kann nicht sein, Marianne. Bitte, dring nicht weiter in mich.” Sie sah mich an und so viel stumme Verzweiflung lag in ihrem Blick, dass es mir das Herz zuschnürte. “Würdest du mich bitte allein lassen? Ich bin müde, wir reden später weiter.”
Ich ging auf mein Zimmer und dachte noch lange über Elinor, Mr Ferras, mich und Willoughby nach.
Als ich Elinor am Abend wieder sah, bat sie mich, nie wieder über Mr Ferras zu reden, zu schmerzlich sei die Erinnerung für sie. Sie sah dabei so verzweifelt aus, dass ich ihr den Wunsch nicht abschlagen konnte, so sehr ich auch gerne mehr über ihre unglückliche Verbindung erfahren hätte. Vielleicht hätte ich ihr sogar helfen können? Der Gedanke erheiterte mich. Ausgerechnet ich bildete mir ein, meiner Schwester in Herzensdingen beistehen zu können, wo mein eigenes Herz doch kaum wusste wie es ohne Willoughby schlagen sollte.
So richtete ich meinen Blick, meine ganze Hoffnung wieder auf den bevorstehenden Ball. Willoughby würde überglücklich sein, mich wieder zu sehen, vielleicht würde er sich mir noch am gleichen Abend erklären. Und vielleicht würde auch Elinor bald ihr Glück finden.
19
Bis zum Abend des Balls steigerte sich meine Aufregung von Tag zu Tag, und als wir endlich aus der Kutsche stiegen und in die Villa gingen, hatte sie den Siedepunkt erreicht. Meine Wangen glühten, meine Hände waren eiskalt und zitterten. Elinor musste mich festhalten, damit ich nicht in den Ballsaal stürmte, um nach Willoughby zu suchen, seinen Namen laut über die Köpfe der Londoner Gesellschaft hinweg rufend.
Mrs Jennings gesellte sich zu einigen Damen, um den neuesten Klatsch zu erfahren und natürlich auch, um welchen zu verbreiten, und Elinor und ich sahen uns etwas um. Ich hatte kaum einen Blick für die prunkvolle Einrichtung übrig, die silbernen Kerzenleuchter, die Kristallgläser, die prachtvollen Ballroben der Damen, ich hielt Ausschau nach Willoughbys dunklem Haar und seiner stattlichen Erscheinung.
“Miss Dashwood!”
Elinor und ich drehten uns überrascht um. Meine Schwester wurde blass und ich stieß ein enttäuschtes “Oh” aus. Es handelte sich nicht um Willoughby, wie ich im ersten Moment gedacht und erhofft hatte, es war der unscheinbare Mr Ferras, der sich steif vor uns verbeugte.
“Miss Dashwood”, wiederholte er offenbar um Worte ringend. “Es ist mir eine Freude, Sie zu sehen. Sie natürlich auch, Miss Marianne.”
“Mr Ferras”, sagte Elinor mit belegter Stimme. “Ich freue mich ebenfalls.” Eine unangenehme Pause entstand. Ich hatte kein Interesse daran, mit Mr Ferras höfliche Konversation zu betreiben und Elinor fand offenbar die richtigen Worte nicht, was so gar nicht ihrer umgänglichen Art entsprach.
“Ich frage mich”, fuhr Mr Ferras nach einer Weile fort, “ob Sie mir wohl die Ehre erweisen würden, mit mir zu tanzen, Miss Dashwood. Miss Elinor.”
“Nun ich weiß nicht, Marianne und ich wollten soeben …”
“Oh nein”, fiel ich ihr ins Wort, “du solltest dich amüsieren, Elinor, geh nur tanzen.”
Elinor blickte mich unschlüssig an, doch dann nahm sie Mr Ferras’ Arm und er führte sie auf die Tanzfläche.
Es war mir sehr recht, dass Elinor nicht mehr an meiner Seite war, so konnte ich unverhohlen nach Willoughby suchen. Und ich hoffte inständig, dass Elinor und Mr Ferras zueinander finden mochten. Er schien ihr wirklich ebenso zugetan zu sein, wie sie ihm. Was auch immer sie entzweit hatte, konnte sich nun aufklären und zum Guten wenden.
Nachdem ich Willoughby im Ballsaal nicht erspäht hatte, durchwanderte ich die Nebenzimmer, in denen die Gäste in Gruppen zusammen standen und sich unterhielten. Und dann sah ich ihn. Sein volles, glänzendes Haar, seine geschmeidigen Bewegungen. Ich stand wie erstarrt im Türbogen und dann löste sich sein Name wie von selbst von meinen Lippen. “Willoughby!” Die Anwesenden drehten sich zu mir um, starrten mich verwundert an,
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