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Schamland

Schamland

Titel: Schamland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Selke
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Ungerecht ist hingegen, wie wir systematisch überflüssig gemacht werden. Es gibt keine Arbeit mehr für alle. Selbst wenn wir arbeiten, können wir davon immer seltener ­leben.
    Im Schamland werden wir zum Objekt von Sparplänen degradiert. Überall wird mit uns Geld gemacht. Wir merken, dass Arbeitgeber Lohnkosten einsparen, indem sie billige Hartz- IV -Kräfte einstellen. * Wenn möglich gleich 1-Euro-Jobber. *
    Das sind dann wir.
    Wir finden es verwerflich, wenn ein Arbeitgeber unsere Situation für sich ausnutzt. Die würden einen am liebsten für null Euro beschäftigen. Das fühlt sich an wie Sklavenarbeit, fast schon wie Prostitution. * Damit wollen wir nichts zu tun haben. *
    Wir arbeiten und werden schon bald wieder ›freigesetzt‹. Finden uns in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen wieder. Bewerben uns immer wieder (weil wir müssen). Ständig schreiben wir Bewerbungen und listen diese in Excel-Tabellen auf, nur damit man uns glaubt. * Sollen wir uns vielleicht unsere Bewerbungen hinten auf das T-Shirt aufdrucken? Damit alle sehen, wo wir uns beworben haben? Nur damit wir nicht beschimpft werden? Das sollten wir mal machen. Eine Schleppe, wie bei Lady Di, damit 200 Bewerbungen darauf passen. *
    Wir machen uns Hoffnungen, aber wir wissen, die meisten davon werden enttäuscht. * Wir spüren genau, dass uns niemand mehr haben will. Das sagt man uns auch direkt ins ­Gesicht. Wir sind nicht belastbar genug. * Wir sind nicht mehr gesund genug. * Wir sind zu alt und damit nicht mehr formbar genug. Und so rutschen wir immer weiter nach unten. *
    Es ist schwer, überhaupt etwas zu finden. * Mit über 50 finden wir noch nicht einmal eine Stelle zum Putzen. * Jobs und Anstellungen werden immer weniger qualifiziert. Aber wir freuen uns, dass uns überhaupt noch jemand nimmt. Wir ­akzeptieren, dass das Gehalt immer niedriger ausfällt. Eines Tages merken wir, dass wir überhaupt keine qualifizierten ­Arbeiten mehr bekommen.
    Irgendwann sind wir dann total weg vom Fenster.
    Wir stecken in einem irrsinnigen Kreislauf. Die Spirale geht immer weiter nach unten. * Und das ist lachhaft. Wenn man überlegt, dass man sein ganzes Leben gearbeitet hat. Das ist ein Witz, fast schon eine Beleidigung. * Das macht uns schwer zu schaffen. * Wir fühlen, dass wir wirklich in der Scheiße hocken und da nicht mehr rauskommen. Keine Arbeit. Nichts. Tote Hose. *
    Es sagt sich so leicht, das könnte jedem passieren! * Aber wie fühlt es sich an, wenn es so weit ist? In den Blicken der anderen sehen wir oft den Vorwurf einer Schuld, gegen die wir uns ständig wehren müssen. Nein, wir haben unsere Situation nicht verschuldet. * Nein, wir sind nicht dümmer als die an­deren. Nicht fauler, nicht asozialer. Wir sind nur – aus welchen Gründen auch immer – in eine solche Situation gekommen. * Die Vorwürfe treffen uns hart und an empfindlicher Stelle. Was kann ein Mann dafür, dass seine Frau innerhalb von 15 Wochen an Krebs stirbt und er sich nun um sein übrig gebliebenes Leben und drei kleine Kinder kümmern muss? * Was kann ein Mensch dafür, dass er erkrankt und arbeits­unfähig wird, nach 35 Jahren Arbeit in ein und derselben Firma? * Was kann ein Unternehmer dafür, der Jahrzehnte für viele Mitarbeiter verantwortlich war und dem dann eine Insolvenz das Genick bricht? *
    Unverschuldet katapultieren uns solche Dinge auf die Schattenseite des Lebens. Wir kommen uns in diesen Momenten einfach nur klein vor. Nun stehen wir ganz anders da in der Welt. * Da ist kein Mut, nichts tut sich auf. * Der Boden beginnt zu beben. * Wir wissen, wie es sich anfühlt, wenn sich das ­Leben aufbäumt wie ein wildes Pferd, nicht zu bändigen. * Wie es sich anfühlt, zwischen den Polen Erfolg und Misserfolg ­leben zu müssen. * Wie es sich anfühlt, um wirklich alles kämpfen zu müssen. * Wenn die Bank das eigene Konto sperrt und die So­zialleistungen einkassiert, obwohl das nicht erlaubt ist. Aber ein Prozess dauert drei Monate. In dieser Zeit haben wir nichts zum Leben. * In dieser Zeit brauchen wir vieles und haben nichts. Drei Kinder, keine Windeln, kein Geld, kein gar nichts. *
    Jede Kleinigkeit, die jetzt noch passiert, gibt uns den Rest. *
    Nach und nach wird das alles zu einem sonderbaren Lebensgefühl. Das Gefühl eigener Minderwertigkeit breitet sich in uns aus, es frisst sich immer weiter in uns hinein, bis wir schließlich die Welt mit anderen Augen sehen. * Wir werden angreifbar und schwach. Das ist der Beginn einer Abwärts­spirale,

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