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Schande

Schande

Titel: Schande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. M. Coetzee
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zuckt mit den Schultern. »Wir haben puritanische Zeiten. Das Privatleben interessiert die Öffentlichkeit.
      Lüsternheit ist respektabel, Lüsternheit und Sentimentalität. Sie wollten ein Schauspiel: an die Brust schlagen, Reue, wenn möglich Tränen. Eigentlich eine Fernsehshow. Den Gefallen habe ich ihnen nicht getan.«
      Er wollte noch hinzufügen: »In Wahrheit hätten sie mich am liebsten kastrieren lassen«, aber er kann das nicht sagen, nicht zu seiner Tochter. Eigentlich wirkt seine ganze Tirade, jetzt, wo er sie mit den Ohren eines anderen Menschen hört, melodramatisch, übertrieben.
      »Du hast also deine Position vertreten, und sie ihre.
      War es so?«
      »Mehr oder weniger.«
      »Du solltest nicht so unnachgiebig sein, David. Es ist nicht heroisch, unnachgiebig zu sein. Hast du noch Zeit, es dir zu überlegen?«
      »Nein, das Urteil ist endgültig.«
      »Kein Einspruch möglich?«
      »Nein, kein Einspruch. Ich beschwere mich nicht. Man kann sich nicht für schuldig erklären, wenn man der moralischen Verworfenheit bezichtigt wird, und eine Sympathiekundgebung dafür erwarten. Nicht, wenn man ein gewisses Alter überschritten hat. Ab einem gewissen Alter findet man einfach keinen Anklang mehr, und damit hat sich’s. Man muß sich einfach zusammenreißen und den Rest des Lebens hinter sich bringen. Seine Zeit absitzen.«
      »Das ist schade. Bleib hier, so lange du willst. Mit welcher Begründung auch immer.«
      Er geht zeitig zu Bett. Mitten in der Nacht wird er geweckt durch aufgeregtes Gebell. Besonders ein Hund bellt unablässig, mechanisch, ohne nachzulassen; die anderen fallen ein, beruhigen sich, dann, weil sie sich nicht geschlagen geben wollen, fallen sie erneut ein.
      »Geht das jede Nacht so?« fragt er Lucy am Morgen.
      »Man gewöhnt sich daran. Tut mir leid.«
      Er schüttelt den Kopf.

  8. Kapitel
 
      Er hat vergessen, wie kalt die Wintermorgen im Hochland der Provinz Ost-Kap sein können. Er hat nicht die richtigen Sachen mitgebracht – er muß sich einen Pullover von Lucy borgen.
      Die Hände in den Taschen vergraben, wandert er zwischen den Blumenbeeten herum. Von hier aus nicht zu sehen, donnert ein Auto auf der Kenton-Straße vorüber, und das Geräusch klingt noch lange in der stillen Luft nach. Gänse fliegen in einer Staffel hoch über seinem Kopf. Was soll er mit seiner Zeit anfangen?
      »Möchtest du einen Spaziergang machen?« sagt Lucy hinter ihm. Sie nehmen drei von den Hunden mit, zwei junge Dobermänner, die Lucy an der Leine führt, und die Bulldogge, die verlassene Hündin.
      Mit angelegten Ohren versucht die Hündin, sich zu entleeren. Nichts kommt.
      »Sie hat Probleme«, sagt Lucy. »Ich werde ihr was geben müssen.«
      Die Hündin strengt sich weiter an, läßt die Zunge heraushängen und schaut unruhig in die Runde, als sei es ihr peinlich, beobachtet zu werden.
      Sie verlassen die Straße und wandern durch Buschland, dann durch dünnen Pinienwald.
      »Das Mädchen, mit dem du dich eingelassen hast«, sagt Lucy – »war es etwas Ernsthaftes?«
      »Hat dir Rosalind nicht die Geschichte erzählt?«
       
     
      »Keine Einzelheiten.«
      »Sie kam aus dieser Gegend hier. Aus George. Sie war in einem meiner Seminare. Als Studentin nur mittelmäßig, aber sehr attraktiv. Ob es etwas Ernsthaftes war? Ich weiß nicht. Es hat auf jeden Fall ernsthafte Konsequenzen gehabt.«
      »Aber jetzt ist es vorbei? Du sehnst dich nicht mehr nach ihr?«
      Ist es vorbei? Hat er noch Sehnsucht? »Wir haben keinen Kontakt mehr«, sagt er.
      »Warum hat sie dich denunziert?«
      »Sie hat es mir nicht verraten; ich hatte keine Gelegenheit, sie zu fragen. Sie war in einer schwierigen Lage. Da war ein junger Mann, ein Freund oder Ex-Freund, der sie tyrannisierte. Da war die Belastung durch das Studium.
      Und dann bekamen ihre Eltern Wind davon und tauchten in Kapstadt auf. Ich vermute, der Druck wurde zu stark.«
      »Und da warst du.«
      »Ja, da war ich. Ich war wohl auch nicht einfach.«
      Sie sind an einem Tor angekommen, mit einem Schild, das verkündet: »SAPPI Industries – unbefugtes Betreten bei Strafe verboten.« Sie drehen um.
      Lucy sagt: »Jedenfalls hast du dafür bezahlt. Vielleicht wird sie im Rückblick nicht allzu hart über dich urteilen.
      Frauen können erstaunlich großmütig sein.«
      Schweigen. Will ihm Lucy, seine Tochter, etwas über Frauen erzählen?
      »Hast du mal daran gedacht, wieder zu

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