Schande
Toilettensitz und schaut durch das Gitter vor dem Fenster.
Mit Lucys Gewehr und einem prall gefüllten Müllsack verschwindet gerade der zweite Mann um die Hausecke.
Eine Autotür schlägt zu. Er kennt den Laut: sein Auto.
Der Mann taucht mit leeren Händen wieder auf. Einen Moment lang schauen sie sich direkt in die Augen. »Hai!« sagt der Mann und lächelt grimmig, ruft irgend etwas.
Plötzliches Gelächter. Kurz darauf tritt der Junge zu ihm, und sie stehen unter dem Fenster, betrachten ihren Gefangenen und beraten sein Schicksal.
Er spricht Italienisch, er spricht Französisch, aber Italienisch und Französisch werden ihn hier im dunkelsten Afrika nicht retten. Er ist hilflos, eine Schießbudenfigur, eine Gestalt aus einem Cartoon, ein Missionar in Soutane und Tropenhelm, der mit gefalteten Händen und gen Himmel gewandten Augen wartet, während die Wilden in ihrem eigenen Kauderwelsch plappern, ehe sie ihn in ihren Kochkessel werfen. Missionsarbeit – was hat sie hinterlassen, dieses gewaltige Läuterungswerk? Er kann nichts erkennen.
Jetzt kommt der große Mann vorn um die Ecke und hat das Gewehr in der Hand. Mit geübter Leichtigkeit lädt er das Gewehr und steckt die Mündung in den Hundekäfig. Der größte der Schäferhunde, geifernd vor Wut, schnappt danach. Ein lauter Knall; Blut und Gehirnmasse spritzen durch den Käfig. Für einen Moment verstummt das Gebell. Der Mann drückt noch zweimal ab. Ein Hund, mitten in die Brust getroffen, stirbt sofort; ein anderer, mit einer klaffenden Halswunde, setzt sich schwer, legt die Ohren an und folgt mit den Blicken den Bewegungen dieses Wesens, das sich nicht einmal die Mühe macht, ihm einen Gnadenschuß zu verpassen.
Es wird plötzlich still. Die übriggebliebenen Hunde, die sich nirgendwo verstecken können, ziehen sich in den hinteren Teil des Käfigs zurück, drehen sich im Kreis, winseln leise. Der Mann knallt einen nach dem anderen ab und läßt sich zwischen den Schüssen Zeit.
Schritte kommen den Gang entlang, und die Tür zur Toilette wird wieder aufgestoßen. Der zweite Mann steht vor ihm; hinter ihm entdeckt er den Jungen im geblümten Hemd, der aus einem Becher Eis ißt. Er versucht sich mit der Schulter einen Weg hinaus zu bahnen, kommt am Mann vorbei und stürzt dann schwer. Sie müssen ihm ein Bein gestellt haben, wie sie es beim Fußball machen.
Während er der Länge nach auf dem Boden liegt, wird er von Kopf bis Fuß mit einer Flüssigkeit bespritzt. Seine Augen brennen, er versucht, sie auszuwischen. Er erkennt den Geruch: Brennspiritus. Er versucht hochzukommen und wird in die Toilette zurückgestoßen. Das Kratzen eines Streichholzes, und augenblicklich ist er in eine kühle blaue Flamme gehüllt.
Er hatte sich geirrt! Man läßt ihn und seine Tochter nicht glimpflich davonkommen! Er kann brennen, er kann sterben; und wenn er sterben kann, dann auch Lucy, vor allem Lucy!
Er schlägt sich wie ein Irrer ins Gesicht; sein Haar knistert, als es Feuer fängt; er wirft sich herum, stößt unartikuliertes Gebrüll aus, dem keine Worte zugrunde liegen, nur Angst. Er versucht aufzustehen und wird wieder niedergezwungen. Einen Moment lang kann er wieder sehen, und er erkennt, dicht vor seinem Gesicht, blaue Overalls und einen Schuh. Die Schuhspitze ist nach oben gebogen; Grashalme kleben an der Sohle.
Auf seinem Handrücken tanzt lautlos eine Flamme. Er kommt mühsam auf die Knie und steckt die Hand in die Toilettenschüssel. Hinter ihm schließt sich die Tür, und der Schlüssel wird umgedreht.
Er hängt über der Toilettenschüssel, spritzt sich Wasser ins Gesicht, schöpft es über den Kopf. Es riecht ekelhaft nach versengtem Haar. Er steht auf, klopft die letzten Flammen auf seinen Sachen aus.
Mit feuchten Papierknäueln badet er sein Gesicht. Die Augen brennen ihm, ein Augenlid schwillt schon zu. Er fährt mit der Hand über den Kopf, und an seinen Fingerspitzen bleibt schwarzer Ruß kleben. Abgesehen von einem Fleck über einem Ohr hat er offenbar keine Haare mehr; seine ganze Kopfhaut schmerzt. Alles schmerzt, alles ist verbrannt. Gebrannt, verbrannt.
»Lucy!« schreit er. »Bist du da?«
Er malt sich aus, wie sich Lucy gegen die zwei in den blauen Overalls wehrt, gegen sie ankämpft. Er windet sich, versucht, das Bild auszulöschen.
Er hört seinen Wagen starten und das Knirschen von Reifen auf Kies. Ist es vorbei? Fahren sie, kaum zu glauben, wirklich fort?
»Lucy!«
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