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Schande

Schande

Titel: Schande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. M. Coetzee
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fester. »Wenigstens die beiden Älteren. Ich glaube, daß sie zuerst und vor allem Vergewaltiger sind. Das Stehlen von Sachen geschieht nur zufällig. Eine Nebenbeschäftigung. Ich glaube, daß sie gewohnheitsmäßig vergewaltigen.«
      »Denkst du, daß sie wiederkommen werden?«
      »Ich denke, daß ich in ihrem Territorium bin. Sie haben mich gezeichnet. Sie werden wieder zu mir kommen.«
      »Dann kannst du auf keinen Fall bleiben.«
      »Warum nicht?«
      »Weil das eine Einladung an sie wäre, wiederzukommen.«
      Sie brütet eine lange Weile vor sich hin, ehe sie antwortet. »Aber kann man das nicht auch anders betrachten, David? Wenn das ... wenn das nun der Preis ist, den man dafür zahlen muß, bleiben zu dürfen? Vielleicht sehen sie das so; vielleicht sollte ich das auch so sehen. Sie glauben, daß ich ihnen etwas schulde. Sie sehen sich als Schuldeneintreiber, Steuereintreiber. Warum soll ich hier leben dürfen, ohne zu zahlen? Vielleicht reden sie sich das ein.«
      »Ich bin sicher, daß sie sich vieles einreden. Es liegt in ihrem Interesse, Geschichten zu erfinden, die ihr Tun rechtfertigen. Aber vertraue auf dein Gefühl. Du hast gesagt, es war nur Haß, was du bei ihnen gespürt hast.«
      »Haß ... Wenn es um Männer und Sex geht, David, da überrascht mich nichts mehr. Vielleicht finden Männer Sex aufregender, wenn sie die Frau hassen. Du bist ein Mann, du solltest es wissen. Wenn du Sex mit einer Unbekannten hast – wenn du sie packst, sie unter dir festhältst, dein ganzes Gewicht auf sie legst – ist das nicht ein wenig wie Töten? Das Messer hineinstoßen; wie aufregend, wenn man danach den blutbefleckten Körper zurückläßt – ist das nicht ein Gefühl wie beim Morden, wie ungestraft morden zu können?«
       
     
      Du bist ein Mann, du solltest es wissen – spricht man so zu seinem Vater? Sind sie und er auf derselben Seite?
      »Vielleicht«, sagt er. »Manchmal. Für manche Männer.«
      Und dann schnell, ohne zu überlegen: »War es bei beiden gleich? Wie ein Kampf mit dem Tod?«
      »Sie feuern sich gegenseitig an. Deshalb machen sie es wahrscheinlich zusammen. Wie Hunde im Rudel.«
      »Und der dritte, der Junge?«
      »Er war dabei, um zu lernen.«
      Sie sind am Schild mit den Farnpalmen vorübergefahren. Die Zeit ist fast um.
      »Wenn es Weiße gewesen wären, würdest du nicht so über sie sprechen«, sagt er. »Wenn es zum Beispiel weiße Schläger aus  Despatch  [15] gewesen wären.«
      »Ach ja?«
      »Ja. Ich mache dir keinen Vorwurf, darum geht es nicht. Aber das ist etwas Neues, wovon du hier sprichst.
      Sklaverei. Sie wollen dich als ihre Sklavin.«
      »Nicht Sklaverei. Unterwerfung. Unterjochung.«
      Er schüttelt den Kopf. »Das ist zuviel, Lucy. Verkaufe.
      Verkaufe die Farm an Petrus und komm weg von hier.«
      »Nein.«
      Hier ist Schluß mit der Unterhaltung. Aber Lucys Worte klingen in seinem Kopf nach. Blutbefleckter Körper.
      Was meint sie damit? Hatte er doch recht, als er von einem blutbesudelten Bett träumte, von einem Blutbad?
      Sie vergewaltigen gewohnheitsmäßig. Er stellt sich die drei Besucher vor, wie sie in dem nicht zu alten Toyota wegfahren, auf dem Rücksitz stapeln sich die Haushaltwaren, ihre Schwänze, ihre Waffen, stecken warm und befriedigt zwischen ihren Beinen – zufrieden schnurrend: – dieses Wort fällt ihm ein. Sie mußten allen erdenklichen Grund haben, mit ihrer an diesem Nachmittag geleisteten Arbeit zufrieden zu sein; ihr Beruf muß sie glücklich gestimmt haben.
      Ihm fällt ein, daß er als Kind über das Wort rape (Vergewaltigung) in Zeitungsberichten nachgedacht und herauszufinden versucht hat, was es genau bedeutet, daß er sich gewundert hat, was der Buchstabe p, sonst so freundlich, in der Mitte eines Wortes zu suchen hat, das zu abscheulich ist, um es laut auszusprechen. In einem Kunstbuch in der Bibliothek gab es ein Gemälde mit dem Titel The Rape of the Sabine Women (unter dem verharmlosenden Titel Der Raub der Sabinerinnen bekannt): Reiter in knapper römischer Rüstung, Frauen in durchsichtigen Schleiern, die ihre Arme in die Luft warfen und jammerten. Was hatten diese gestellten Posen mit dem zu tun, was er sich unter Vergewaltigung vorstellte: der Mann lag auf der Frau und drang gewaltsam in sie ein?
      Er denkt an Byron. Unter den Legionen von Gräfinnen und Küchenmädchen, in die Byron eingedrungen war, gab es ohne Zweifel jene, die es Vergewaltigung nannten. Aber

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