Schandtat
hätte.«
Schweigen.
»Stimmt doch, oder?«
»Es gibt absolut keine Entschuldigung für das, was Velveeta angetan wurde, Poe. Keine. Du hast bei Anna einen Fehler gemacht, aber für diese Sache ist Colby ganz allein verantwortlich.«
»Warum fühl ich mich dann nicht besser?«
Dad stellte den Wagen ab. »Weil du ein menschliches Wesen bist.«
Ich stieg aus. »Das wird er bereuen.«
Er sah mich an. »Poe …«
»Er wird büßen. Das schwör ich. Dafür wird er bezahlen.«
Der Mittwochmorgen kam mit dem abstoßenden Gedanken daran, zur Schule gehen zu müssen. Velveeta sollte auf Anweisung des Arztes wegen einer schweren Gehirnerschütterung
im Bett bleiben, und ich hatte vor der ersten Stunde Chorprobe. Eigentlich wollte ich nicht hingehen, aber ich tat es dann doch. Alles wie gehabt, auch wenn dem nicht so war. Ich konnte nur so tun als ob.
Als ich Anna mit ihren Freundinnen im Chorraum stehen sah, musste ich sofort wieder an Velveeta denken, wie er zusammengekrümmt und blutend unter dem Waschbecken gelegen hatte. Anna sah mich zu lange an, mit ausdrucksloser Miene, und ich wäre beinahe ausgerastet.
Mrs Baird kam herein und ließ uns unsere Plätze einnehmen, dann fingen wir an. Ich sang nur halbherzig und starrte die ganze Zeit auf Annas Rücken, mit purer Bosheit im Herzen. Wut brannte in mir. Mit jedem Vers, den ich sang, schwoll sie an, und meine Stimme zog mit. Mein Brustkorb weitete sich, wenn ich am Ende der Zeilen Luft holte, und der Zorn durchströmte mich wie ein reißender Fluss. Und ich wusste, dass ich für den Chor viel zu laut geworden war.
Während Mrs Baird dirigierte, sah sie immer wieder zu mir und versuchte mich dazu zu bringen, meine Lautstärke zu drosseln, doch ich reagierte nicht. Erst als die Chorstrophe endete und Anna übernahm, hielt ich den Mund. Sie war gut. Sehr gut sogar. So gut, wie alle immer behauptet hatten.
Aber ich war besser. Also machte ich den Mund wieder auf.
Zunächst noch leise, doch dabei blieb es natürlich nicht. Es dauerte keine Minute, bis Mrs Baird die Hände sinken ließ, zum Zeichen, dass wir aufhören sollten. Aber ich sang unbeirrt weiter, Anna ebenso, und sie wurde noch eine Spur
lauter. Mrs Baird funkelte mich an, als wäre sie mir am liebsten an die Gurgel gegangen, doch ich lächelte, und meine Stimme schwang sich über Annas und erdrückte sie. Wenn die unbedingt ein Vorsingen wollten, dann sollten sie es auch bekommen, gleich jetzt und hier. Und wenn sie glaubten, Poe Holly würde klein beigeben, dann hatten sie sich aber geschnitten.
Einen Moment später brach Anna ab, ihre Stimme von meiner in den Schatten gestellt. Ich sang weiter und beendete ihren Part, der Chor gab keinen Ton von sich. Als ich aufhörte, war es mucksmäuschenstill, und Mrs Baird starrte mich wütend an. Ich trat von meinem Platz herunter und starrte genauso wütend zurück. »Wir sehen uns Freitagmorgen. Halb acht.« Dann marschierte ich hinaus.
Colby Morris war nicht in der Schule, und von Theo hatte ich gehört, dass er sich bedeckt hielt, bis die Schule eine Entscheidung getroffen hatte. Und Mr Halvorson tat einfach so, als hätte er keinen auf übelste Weise verprügelten, blutüberströmten Außenseiter unter dem Waschbecken in der Jungentoilette gefunden - vermutlich hatte er als Oberhaupt des Gremiums für Gleichheit und Fairness an Benders High die Pflicht, all jene Probleme zu ignorieren, die wirklich wichtig waren …
Ich traf Theo nach der Schule, und wir spazierten zu mir. Dad würde erst spät nach Hause kommen - er wollte jenen Schülern seine therapeutischen Dienste anbieten, die möglicherweise von den Prügeln, die Velveeta nicht von Colby Morris hatte einstecken müssen, in Mitleidenschaft gezogen worden waren. Ich lachte über diesen Gedanken. Theo sah mich an. »Ein Insider?«
»Mein Dad. Er bleibt heute länger in der Schule, falls irgendjemand von der Gewalt, die es nicht gegeben hat, traumatisiert sein sollte.«
»Staatlich geförderte Weichei-Behandlung. Bestimmt hat er ein ganzes Haus voller traumatisierter Teenager.«
»Kann sein. Aber ich wette, es würden mehr Leute Schlange stehen, um ein Video davon zu kaufen, als um sich therapeutisch behandeln zu lassen.«
»Jep. Ich hab jedenfalls nichts gehört.«
»Colby sollte von der Schule fliegen und weggesperrt werden.«
»Das wird nicht passieren«, sagte Theo mit resigniertem Tonfall.
Wir gingen zur Veranda und ließen uns auf die Stühle fallen. »Und warum nicht?«
»Sein Dad
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