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Schandtat

Titel: Schandtat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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Erwachsene. Und damit wir mehr über Ihre Probleme erfahren, wurde diese Veranstaltung für Sie als Jugendliche, die schwere Zeiten durchmachen, organisiert. Erzählen Sie uns von Ihren Gefühlen und erlauben Sie uns, Ihnen dabei zu helfen, richtig mit ihnen umzugehen, und zwar in der Form, wie wir Erwachsene damit umzugehen wissen. Wie Sie mit Isolation, Entfremdung, Depression und Ungerechtigkeiten umgehen können und wie Sie im Wesentlichen ein besserer Mensch sein können. Ein glücklicherer Mensch.«
    Wenn an der Wand ein Schmalzometer gehangen hätte, wäre es spätestens jetzt explodiert. Es folgte ein Moment verlegenen Schweigens, bevor tatsächlich ein paar Leute applaudierten. Mr Halvorson schlug die Hände zusammen wie ein Jugendtrainer, der seine Mannschaft aufs Feld schickt, und ich rechnete schon damit, dass er gleich die vorderen Schüler abklatschen würde, aber das tat er dann doch nicht. Er räusperte sich. »Nun, dann kommen wir also zur Sache.« Er hielt inne. »Wie viele von Ihnen hatten schon einmal das Gefühl, als gehörten Sie nicht so recht dazu? Vielleicht das Gefühl, als seien Sie nicht die Person, die Sie eigentlich sein möchten?«

    Einige Hände gingen in die Höhe, mehrere Köpfe drehten sich hin und her, um herauszufinden, wie groß - wohlgemerkt, auf einer Veranstaltung gegen soziale Ausgrenzung - die Gefahr sein mochte, sich zu blamieren. Es kamen noch weitere Hände hinzu, und schon bald meldeten sich fast alle Schüler. Theo hielt seine Hand besonders hoch und schüttelte sie wie ein kleines Kind. Er boxte mir den Ellbogen in die Rippen, und seufzend hob ich ebenfalls die Hand. Anna jedoch nicht.
    Mr Halvorson nickte. »Also gut.«
    Verwirrt sah ich mich um. Was war denn bitte schön gut an einem Raum voller Leute, die angaben, unglücklich zu sein und sich zu wünschen, sie wären jemand anderer? Ich sah meinen Dad an, der ebenfalls die Hand gehoben hatte, um uns das Gefühl zu geben, als säßen wir alle in demselben sinkenden Boot - ich presste die Lippen fest zusammen. Er hätte lieber fragen sollen, wie viele Leute sich mit einem stumpfen Messer die Haut abschaben würden, wenn man sie dafür nur mal fünf Minuten in Ruhe ließe. Aber das würde natürlich nicht passieren. Stattdessen würden wir weiterhin auf dieser Mitleidsnummer herumreiten.
    Wie gewöhnlich behielten einige Leute ihre Hände oben, bis Mr Halvorson sanft darum bat, sie wieder herunterzunehmen, dann fuhr er fort. »Ich möchte jedem Einzelnen von Ihnen sagen, dass die Gefühle, die Sie haben, Gefühle sind, die jeder irgendwann einmal hat und dass sie völlig normal sind.« Er ließ den Blick über uns Schüler schweifen. »Was ich damit sagen will, ist, dass wir alle gleich sind. Wir alle haben die gleichen Gefühle, und wir sind alle nur Menschen. Der Unterschied liegt darin« - er ging im Raum auf
und ab - »der Unterschied liegt darin, wie wir mit diesen Gefühlen umgehen und welche Werkzeuge uns zur Verfügung stehen, mit ihnen zu arbeiten. Darum geht es bei dieser Veranstaltung.«
    Die Gründe summierten sich langsam, aber der wahre Grund war nirgends zu finden. Denn der eigentliche Grund für unsere Zusammenkunft hatte nichts damit zu tun, dass wir angeblich alle gleich waren. Wir waren hier, weil ein Mitschüler in der Jungentoilette halb tot getreten worden war und die Schule deshalb Schadensbegrenzung betreiben musste.
    Mr Halvorson gab meinem Dad ein Zeichen, und als er Platz nahm, stand Dad auf. Sein Blick zuckte in meine Richtung, glitt dann durch den Raum. »Ich möchte zunächst einmal mit ein paar Geschichten beginnen. Und zwar mit realen Geschichten. Geschichten, die uns zeigen, was wir miteinander gemeinsam haben. Die uns die Wahrheit über die Welt erkennen lassen, in der wir leben. Ich würde gern etwas über Ihren Hintergrund erfahren, und dafür ist es hilfreich, wenn Sie mir Ihre Geschichten erzählen.« Er ging auf und ab. »Sie alle haben schon mal die eine oder andere Form von Schikane erlebt. Ich ebenfalls. Mobbing, Spott, Beleidigungen, Misshandlungen und Demütigungen - wir alle haben unsere Erfahrungen mit derartigen Situationen machen müssen. Wir könnten uns jetzt einfach damit trösten, dass wir zumindest nicht allein dastehen. Aber indem wir Eigeninitiative zeigen, können wir dem Ganzen auch Einhalt gebieten. Wir können uns stark machen.« Er trat vor. »Wer möchte gern anfangen?«
    Lautstarkes Schweigen. Ich hatte nicht die Absicht, mein
Innerstes nach außen zu

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