Schandtat
lächelte und stieß mich an. »Das ist eine Galaveranstaltung voller Spaß und Spiel für die ganze Familie. Hast du nicht Lust hinzugehen, Poe?«
»Wohl kaum«, antwortete ich. Theo verzog das Gesicht wie ein vom schlechten Gewissen geplagtes Kind, das etwas zu beichten hat. Ungläubig starrte ich ihn an. »Sag bloß nicht …«
Er zuckte mit den Schultern. »Mein Dad ist ein extrem großzügiger Spender. Er bezeichnet meine Teilnahme als familiäre Pflicht.«
Ich verdrehte die Augen. »Du hast einfach kein Rückgrat.«
»Gehst du mit mir hin? Biiiiitte! Du kannst mich vor den großen bösen Buben beschützen.«
»Nein.«
Er legte den Kopf schräg und machte einen Schmollmund. »Ich würd’s auch für dich tun. Außerdem ist das Essen wirklich gut. Fast wie ein Buffet, aber ohne diese Leute, die sich gleich noch ein paar Schweinerippchen für später in die Taschen stopfen. Und wenn die zweihundertfünfzig
Pfund schweren Footballer mit Eiern werfen, gibt’s auch was zu lachen.«
»Klingt nach einem durch und durch amerikanischen Abend.«
»Das wird bestimmt lustig. Versprochen.«
Ich zeigte mit dem Finger auf ihn. »Hey hey! Ich bin dabei.«
Theo lächelte. »Echt jetzt?«
»Klar.« Ich gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange. »Du bist ja auch mit hierher gekommen, also hast du wohl was gut bei mir.«
Immer mehr Schüler kamen in die Bibliothek, und genau wie in jeder anderen Situation des Highschool-Lebens konnte ich auch jetzt genau zuordnen, wer zu welcher Gruppe gehörte. Die Hässlichen, die Fetten, die Trottel, die Heulsusen, die Zukurzgeratenen, die Unterschichtler und diejenigen, die einfach total schräg waren, vermischten sich mit den Normalos, die zwar keinen blassen Schimmer davon hatten, wie es sich anfühlte, ein Ausgestoßener zu sein, die aber aus irgendwelchen humanitären Gründen dennoch dabei waren. Und jedem Einzelnen stand sein persönliches »Rangabzeichen« ins Gesicht geschrieben: die unterwürfigen, verzweifelten, schüchternen, ängstlichen, unzufriedenen, niedergeschlagenen, gequälten, ausgehungerten Mienen von Leuten, die schlicht und ergreifend nirgendwo dazugehörten. Nicht einmal zueinander.
Ich fand, dass ich definitiv dazugehörte, aber trotzdem hatte ich wenig Mitleid mit ihnen. Sie erinnerten mich an Schafe, die auf einer mit DDT bestrichenen Weide grasten, ohne zu kapieren, dass das, was sie nährte, gleichzeitig das
war, was sie tötete. Am liebsten hätte ich über die Ironie des Ganzen laut gelacht, um ihnen dann den Stinkefinger zu zeigen und einfach zu verschwinden. Sie akzeptierten ihre Plätze und dieses Affentheater tatsächlich, genau wie Theo es prophezeit hatte. Die kleinen Rädchen im Getriebe. Damit es die Starken gab, musste es die Schwachen geben, und ich war mir nicht sicher, ob ich sie oder vielmehr die Welt dafür hasste. Vielleicht hatte Anna sogar recht gehabt, dachte ich. Vielleicht war ich die elitäre Zicke …
Mr Halvorson baute sich ganz vorn in der Mitte auf, lächelte und rieb sich die Hände, als mache er sich bereit, der Loser-Klasse eine Predigt zu halten. Und mein Dad saß wie eine Sekretärin mit übereinandergeschlagenen Beinen auf einem Stuhl, die Hände über dem Knie gefaltet. Ich zog die Augenbrauen hoch - mit meiner Einstellung würde ich heute garantiert keine große Hilfe sein.
»Danke, dass Sie alle gekommen sind«, begann Mr Halvorson. »Wir auf der Benders High haben uns der Aufrechterhaltung eines Standards von Gleichheit und Fairness für jeden einzelnen Schüler verschrieben, der einen Fuß in unsere Gebäude setzt, und das ist auch der Grund, warum wir heute hier versammelt sind. Um zu erörtern, wie wir eine herausragende Schule noch herausragender machen können …«
Theo hob die Hand.
Eine Warnung blitzte in Mr Halvorsons Augen auf, aber ganz im Geiste dieser weinerlichen Wohlfühlveranstaltung duldete er die Unterbrechung. »Ja, Mr Dorr?«
»Ich wollte nur sagen, dass ich als totaler Loser mich überaus glücklich schätze, eine so herausragende Schule besuchen
zu dürfen. Allein dadurch fühle ich mich schon weniger losermäßig.«
Mr Halvorson holte tief Luft. »Dürfte ich meine Einführung zu Ende bringen, bevor wir anfangen, über unsere Gefühle zu sprechen?« Er wartete einen Moment, und als Theo ruhig blieb, nickte er. »Sowohl Mr Holly als auch mir selbst ist sehr wohl bewusst, wie schwierig das Teenagerdasein heutzutage sein kann. Nichtsdestotrotz sind wir keine Teenager mehr, sondern
Weitere Kostenlose Bücher