Schandtat
sei, als sich um solche Belanglosigkeiten wie die Freiheit des Einzelnen zu scheren.
Als Nächstes hatten wir Sport, und da mir so viele andere Sachen im Kopf herumschwirrten, hatte ich die Uniformfrage vorerst aufgegeben. Ich würde ein Schaf sein und mein blödes Shirt tragen. Als ich in den Umkleideraum kam, hatte sich der Großteil der Klasse bereits umgezogen und war schon in der Halle. Seufzend nahm ich meine Uniform vom Spindregal und starrte sie an, dachte darüber nach, was ich tun sollte - dann legte ich sie wieder weg.
Mit dem Shirt, das ich während der Schulstunden getragen hatte, betrat ich die Turnhalle. Coach Policheck stand vor den Mädchen, hatte die Hände in die Hüften gestemmt und betrachtete mich mit wutsteinerner Miene, wie meine Mutter sagen würde. Laut genug, damit alle es hören konnten, sprach sie mich direkt an. »Sind Sie nun zufrieden, Ms Holly?« Ich blieb stehen und ließ meinen Blick über die Mädchenriege schweifen. Mindestens die Hälfte von ihnen, darunter auch Anna Conrad, trug Straßenshirts. Keine Sportuniformen. Ich antwortete nicht, sondern trat an ihr vorbei und nahm meinen Platz in der Reihe ein. Coach
Policheck funkelte mich an. »Nun, jetzt, da alle hier sind, können wir wohl anfangen. Diejenigen Schülerinnen, die beschlossen haben, keine Uniform zu tragen, werden sich unverzüglich in den Umkleideraum begeben und sich umziehen. Wer sich nicht daran hält, wird bestraft. Meuterei ist an dieser Schule nicht gestattet!«
Ich verkniff mir ein Lächeln. Wenn Meuterei gestattet wäre, würde man sie ja wohl kaum als Meuterei bezeichnen. Und so wie es aussah, würde unser stellvertretender Schulleiter ein größeres Büro brauchen. Coach Policheck stand wartend da und klopfte sogar ungeduldig mit dem Fuß auf den Boden, doch niemand rührte sich. Schließlich atmete sie tief durch die Nase ein und wieder aus, und ihre Stimme gellte durch die Halle. »Wenn diejenigen, die keine Uniformen tragen, nicht sofort in den Umkleideraum gehen, wird die GESAMTE Klasse drei Tage nachsitzen.«
Niemand rührte sich. Die Jungen am anderen Ende schauten lachend und kopfschüttelnd zu uns herüber, und Coach Policheck grunzte etwas Unverständliches, als sie nach Klemmbrett und Stift griff und einmal die Mädchenriege entlangging, um die Anwesenheitsliste abzuhaken. Sobald sie fertig war, baute sie sich wieder vor uns auf. »Ich werde mit dem stellvertretenden Schulleiter Avery über einen einstweiligen Ausschluss vom Unterricht sprechen. Für jede von Ihnen, die ihre Uniform nicht trägt.« Sie deutete auf die Tribüne hinter den Volleyballnetzen. »Sie dürfen dort Platz nehmen, bis Sie Ihre Uniformen tragen. Gehen Sie mir aus den Augen!«
Die halbe Klasse, über fünfundzwanzig Mädchen, setzte sich auf die Tribüne und beobachtete, wie die andere Hälfte
Volleyball spielte. Ich saß in der obersten Reihe mit dem Rücken zur Wand. Anna Conrad kam schweigend zu mir herauf.
Ich ließ meinen Blick durch die Turnhalle schweifen, kannte die Antwort bereits, bevor ich die Frage stellte. »Du hast dafür gesorgt, nicht wahr?«
Schweigen.
»Warum?«
Sie zuckte die Achseln. »Ich bin heute aus dem Chor ausgetreten.«
»Wieso?«, fragte ich, wobei ich meine Überraschung im Zaum hielt.
»Ich hatte meine Gründe.«
»Du glaubst, das hier ändert irgendwas?«
Sie starrte geradeaus. »Es interessiert mich nicht, ob sich was verändert.« Ein Weilchen saßen wir nur da, während Coach Policheck uns angewiderte Blicke zuwarf. »So fühlt es sich also an«, fuhr sie fort.
»Was?«
»Nicht zu tun, was einem gesagt wurde.«
Ich lehnte mich zurück und spürte die kühle Steinwand hinter mir. »Du tust immer, was man dir sagt, oder?«
»Ja.«
»Also willst du jetzt eine Rebellin sein.«
»Ich hab mein ganzes Leben damit verbracht, immer alles zu tun, was von mir erwartet wurde. Eben ein Engel zu sein.«
Ich grinste. »Tja, ich mag dich aber trotzdem nicht.«
»Ich mag dich auch nicht. Und deine Haare sehen total dämlich aus.«
Ich lachte und betrachtete ihr tief ausgeschnittenes T-Shirt, bei dem man schon den Brustansatz sehen konnte. »Besser als meine Titten raushängen zu lassen, damit die Leute mich beachten.«
»Ist doch das Gleiche, oder?«
Ich dachte darüber nach. Verdammt, sie machte es mir wirklich schwer, sie zu hassen. »Wahrscheinlich schon.«
»Du hast absolut keine Ahnung, wie viel Ärger ich für diese Aktion kriegen werde.«
Ich lächelte. »Meine Mom ist
Weitere Kostenlose Bücher