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Schandweib

Schandweib

Titel: Schandweib Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Weiss
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ging sie auf ihn zu.
    Doch bevor sie ihn ansprechen konnte, hatte er sie und das Kind bereits erblickt und lief auf sie zu. »Marie, Marie, mein Kind! Allmächtiger, was ist passiert?« Sogleich ergriff er das Mädchen und drückte es an sich. Dann musterte er Ruth in ihrem nassen, verkohlten Kleid. »Wie kommt Ihr zu meinem Kind, Jungfer?«
    »Ich fand Eure Tochter weinend und verlassen in der Nähe der brennenden Bastion. Wir konnten die Mutter nicht finden, und da es dort zu gefährlich zum Verweilen war, haben wir Euch gesucht.«
    »Dem Herrn sei Dank, dass Ihr das Kind zu mir gebracht habt. Mein Weib war schon bei mir und ist nun erneut los, das Kind zu suchen. Sie hatte es im Getümmel wegen des Brandes verloren. Ihr seid ein guter Christenmensch, Jungfer, vergelt Euch Gott Eure gute Tat.«
    Ruth nickte verlegen und strich sich das nasse Kleid glatt. DerZimmermann küsste Marie auf beide Wangen und wandte sich dann noch einmal an Ruth, die gehen wollte.
    »Was für ein Anschlag von jüdischer Tücke ist dieser Brand! Die Bastion schwebt in großer Gefahr und mit ihr unser aller Sicherheit. Fast alle Männer der Mühle sind los, um beim Löschen zu helfen. Nur mich ließ der Meister nicht fort, denn wenigstens einer muss die Maschine im Auge behalten. Wütend war ich auf ihn, doch nun danke ich dem Herrn, dass ich hierblieb und Ihr mich so finden konntet. Der Herr sei mit Euch, Jungfer, habt Dank!«
    Ruths Augen verdunkelten sich, aber sie schluckte jegliche Erwiderung hinunter. Es war nicht an ihr, diesen Mann zu belehren, dass eine Jüdin seinem Kind geholfen hatte. Sie lächelte der kleinen Marie zu und wandte sich dann endgültig ab, um nach Hause zu eilen.
    Mit kräftigen Bewegungen seifte Ruth erneut ihre Hände ein und fuhr sich anschließend mit den nassen Händen über Gesicht und Hals, um auch sie vom Ruß zu befreien. Dann griff sie nach dem linnenen Handtuch neben der Waschschüssel und trocknete sich ab.
    Von unten herauf hörte sie ihren Vater das Haus betreten. Er kam bestimmt von der Börse zurück und würde gleich nach ihr rufen.
    Schnell legte sie das nasse und verschmutzte Kleid ab und rieb mit dem Handtuch über die klammen Beine, deren Haut sich vor Kälte schon rotblau verfärbt hatte. Sie würde das Kleid heimlich ausbessern müssen. Aber vorher musste es gewaschen werden. Sie würde die Magd darauf einschwören, kein Wort über den Zustand des Kleides verlauten zu lassen.
    Kaum hatte Ruth sich ein frisches Kleid übergeworfen, als auch schon die Stimme ihres Vaters ertönte.
    »Ich bin gleich bei dir, Vater! Hab einen Augenblick Geduld!«

Mittwoch, 17. November 1701
28
    D ie Glocke von St. Nikolai schlug zwölf Uhr. Ermattet sah Wrangel zu Wilken hinüber, der ebenfalls schon etwas unruhig wirkte und dem Prokurator kurz zunickte. Drei Stunden hatten sie ohne Unterbrechung zu Gericht gesessen. Wie so häufig in den letzten Wochen waren es Streitereien unter Kaufleuten gewesen, die mit ihren Warenlieferungen in Verzug waren, da die Dänen immer wieder die Hafenzufahrt versperrten. Die Kaufleute litten, das war nicht zu übersehen. Und mit ihnen litten die Märkte, da die Waren knapper wurden und die Preise in die Höhe schossen. Zwar kam es in Hamburg immer wieder mal vor, dass es Lieferengpässe gab oder gar ganze Ladungen auf See verschwanden und dadurch Kaufmannshäuser in größte Bedrängnis gebracht wurden. Aber zurzeit waren es weniger die großen Katastrophen, denen man meist mit besonderer gegenseitiger Hilfsbereitschaft entgegenwirkte. Es waren eher die kleinen Unsicherheiten, die zermürbenden politischen Verhältnisse in der Stadt und dazu noch die politische Großwetterlage, bestimmt durch die schwedischen Expansionsgelüste, die ein Reizklima unter den Bürgern Hamburgs schufen, dessen Auswirkungen immer häufiger das Niedergericht beschäftigten.
    Endlich griff Wilken nach seinem Hämmerchen und beendetedie Sitzung. Der Aktuar Dr. Meyer rückte die Papiere zusammen, und der Prätor warf Wrangel, der schon im Begriff war aufzustehen, ein joviales Lächeln zu, als der Brookvogt eintrat und die Ankunft der beiden im Falle Bunk beschuldigten Personen meldete.
    »Wohlan, Prokurator Wrangel, dann bringen wir es doch am besten gleich hinter uns und befragen die beiden Personen, solange wir hier alle beisammensitzen«, ließ sich Wilken mit erstaunlich frischer Stimme vernehmen. »Heute Nachmittag habe ich dazu keine Zeit. Euer ehrenwerter Bruder und seine reizende junge Gattin

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