Scharade der Liebe
getan?«
»Gray? Bist du das?«
»Natürlich. Hoffentlich wird das bei dir nicht zur Gewohnheit, die Hand zu beißen, die dich weckt.«
»Nein. Ich dachte, du wärst...«Ihre Stimme erstarb. Sie konnte nur sein Gesicht sehen, das von der Kerze erhellt wurde. Sie wandte ihren Blick ab. Er hatte sie über den Abgrund gestoßen. O Gott.
»Ich bin nicht dein verdammter Stiefvater, Jack.«
Augenblicke völliger Klarheit seien selten, hatte Maude ihr einmal gesagt, und zum ersten Mal verstand sie, was sie damit gemeint hatte. Dieser Mann, der sie aus dem Albtraum geweckt hatte, der sie gejagt und wieder gesund gepflegt hatte, sie kannte ihn noch gar nicht richtig, aber sie wusste auf einmal ganz genau, dass es albern war, irgendetwas vor ihm zurückzuhalten.
Sie lächelte ihn an und sagte: »Ich habe dir doch von meiner kleinen Schwester Georgie erzählt. Sie ist in Wirklichkeit meine Halbschwester, aber das spielt keine Rolle. Sie ist mein Kind, weil ich vier ihrer fünf Lebensjahre ihre Mutter gewesen bin. Mein Stiefvater hat sie immer ignoriert. Er wollte nie etwas von ihr wissen. Sie war nicht der Sohn, den er sich erhofft hatte, und deshalb war sie seiner Meinung nach bedeutungslos.
Als meine Mutter vor vier Jahren starb, täuschte er nicht einmal mehr vor, dass er sie mochte.
Vor drei Monaten wurde mir klar, dass er Georgie -wenn er herausfand, wie sehr ich sie liebte - gegen mich einsetzen würde, um mich zu zwingen, Lord Rye zu heiraten. In seiner Gegenwart redete ich deswegen absichtlich nur noch gleichgültig, gelegentlich sogar verächtlich mit ihr. Eines Nachts hatte sie einen Albtraum und weckte ihn mit ihren Schreien. Er war so wütend, dass er sie zu seiner jüngeren Schwester nach York schickte.
Ich konnte nichts dagegen sagen, weil er sonst gemerkt hätte, wie sehr ich sie liebe. Nie hätte ich gewollt, dass er sie für meine Weigerung bestraft. Als ich aus Carlisle Manor geflohen war, bin ich sogleich nach Featherstone zu Maude und Mathilda gegangen. Sie haben Pläne geschmiedet, und so wurde ich der Verrückte Jack.
Mathilda erzählte mir kurz nach unserer Ankunft hier, dass die jüngere Schwester meines Stiefvaters Georgie zurück nach Carlisle Manor gebracht hatte. Ihre Haushälterin hatte ihnen durch einen der Stalljungen eine Nachricht zukommen lassen. Ich konnte es einfach nicht ertragen. Mein Stiefvater ist nicht dumm. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis er merkt, dass er eine Goldmine besitzt. Ich habe vier Tage gewartet, aber dann musste ich sie von ihm wegholen.«
Gray antwortete: »Ich verstehe. Du wolltest Durban stehlen, nach Carlisle Manor reiten, dich mit einem fünfjährigen Mädchen davonschleichen, und dann? Sollte sie auch Kammerdiener werden? Ich versichere dir, Jack, ein Kind in meinem Haus wäre mir aufgefallen. Komm, sag mir, was hattest du mit ihr vor, wenn es dir gelungen wäre, sie von deinem Stiefvater wegzuholen?«
Die ganze Geschichte, dachte sie. Er hat es verdient, alles zu erfahren, sonst brachte sie ihn durch ihre Handlungen in Gefahr. »Ich habe Geld. Als mein Großvater - der Vater meiner Mutter - starb, hinterließ er all sein Geld mir und nicht meiner Mutter, weil er meinen Stiefvater verabscheute. Mein Stiefvater ist auch nicht mein Vormund. Das ist Lord Burleigh. Mein Großvater ist jetzt seit beinahe zehn Jahren tot, und bisher ist es Lord Burleigh gelungen, dass mein Stiefvater noch nicht einen Pfennig von dem Geld gesehen hat. Ich hätte Georgie nach London gebracht, wäre mit ihr zu Lord Burleigh gegangen und hätte mir mein Erbe auszahlen lassen, oder zumindest eine monatliche Summe. Ich hatte nicht vor, in einem Graben zu verhungern, Gray. Meine Pläne bestehen immer noch. Sobald ich Georgie bei mir habe, gehe ich zu Lord Burleigh. Er wird Georgie und mich vor Sir Henry beschützen. Daran brauchst du nicht zu zweifeln.«
»Normalerweise verstehen Frauen nichts von finanziellen Angelegenheiten«, sagte Gray langsam. »Woher weißt du das alles?«
»Ich habe ein Gespräch zwischen meinem Stiefvater und Lord Rye belauscht. Er hat Lord Rye erzählt, mein Großvater,> der schändliche alte Bastard<, habe mein Geld so sicher angelegt, dass er, Sir Henry, nicht drankäme. Die einzige Möglichkeit für ihn, an mein Erbe zu gelangen, wäre zu warten, bis ich fünfundzwanzig oder verheiratet sei.
Sir Henry fluchte lauthals über Lord Burleigh, meinen gesetzlichen Vormund. Er hat Lord Rye auch gesagt, wenn ich stürbe, würde nicht Georgie das Geld erben,
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