Schartz, S: Elfenzeit 15: Die Goldenen Äpfel
Kräfte rauben, die er dringend benötigte.
Er schnellte in den Dünenschatten zurück, kauerte sich hin, warf den Umhang um sich und rollte sich wie ein Igel ein. Gerade noch im rechten Moment.
Chamsin ließ die wartende Sandwoge frei, die nun über dem Getreuen zusammenschlug. Das ohrenbetäubende Pfeifen und Brausen ließ keine anderen Geräusche mehr zu, und der Sand war allgegenwärtig. In rasender Geschwindigkeit verschüttete er den Getreuen, drang durch das Gewebe, die Stiefel, die Handschuhe, drang in jede Pore, jede Öffnung, unaufhaltsam. Der Getreue ertrank im Sand, erstickte im Staub. Es gab keinen Schutz, keine Rettung.
Sand war wie Wasser – erbarmungslos. Wo dem Fisch im Meer die Kiemen halfen, waren selbst diese im Sand nutzlos. Sogar Wüstentiere hatten keine Chance, wenn sie sich nicht rechtzeitig in die Tiefe zurückziehen konnten. Und auch dann war es fraglich, ob sie sich, einmal verschüttet, wieder zu befreien vermochten. Es war fast unmöglich, denn je weiter es hinaufging, je mehr sie unten schaufelten, desto mehr Sand rieselte von oben herunter und füllte den mühsam freigelegten Durchgang neu.
Der Sand war eine Naturgewalt, der nicht beizukommen war. Sie stellte den Getreuen auf eine harte Probe. Er spürte, wie sein stofflicher Körper langsam erstickte und verfiel, kaum dass er angefangen hatte, sich zu verfestigen. Der Verhüllte wusste nicht, wie er dem beikommen sollte, und versuchte, das Gewebe des Umhangs dichter zu verbinden, noch enger um sich zu schlingen und zu verhärten. Es gelang ihm kaum, und er verlor auch zusehends die Kontrolle. Aber er wollte nicht wieder als Tuchfetzen enden, der auf ewig im Sand begraben lag, ohne Aussicht auf Rettung, mit einem langsam erlöschenden Bewusstsein.
Ich hatte einst eine kalte Aura
, dachte er.
Sie muss mir helfen
...
Er strengte sich an, suchte die Verbindung zur Ley-Linie und zapfte sie an. Der Strom floss nur dünn an dieser Stelle, doch er genügte ihm. Nach kurzer Zeit umhüllte ihn der Schutz seiner Aura, die eisige Kälte verströmte und sich gegen den heißen Sturm stemmte. Der Sand prasselte in unverminderter Wucht dagegen, konnte aber nicht mehr durchdringen.
Wie lange es dauerte, konnte der Getreue nicht einmal schätzen. Er hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Müdigkeit spürte er, trotz der Verbindung zur Kraftlinie. Immerhin hatte er den Erstickungstod abgewendet, und sein geschwächter, halb stofflicher Körper erholte sich langsam. Die Kälte war wohltuend, schützte ihn vor Hitzschlag und Verbrennungen. Geduldig wartete er und versuchte, nicht dem Verlangen nach Schlaf nachzugeben. Erst später, viel später würde die Zeit dafür kommen. Noch nicht.
Schließlich war es vorbei. Chamsin konnte seinen Zorn nicht ewig über ihm ausschütten, es gab Regeln. Die Menschenwelt war sehr fragil. Nun mehr denn je. Daran mussten sich auch die Winde halten.
Auf das Tosen folgte Stille. Beinahe so wie jene am Ursprung des Seins, an die der Getreue sich erinnerte. Wie lange war das her ...
Er lauschte in die Stille hinein, die so wohl wie die Kälte tat. Fast kam es ihm vor, als wäre er wieder dort, wo alles anfing. Manchmal vermisste er den Ursprung. Manchmal wünschte er, er könnte dorthin zurückkehren.
Und so wird es sein, wenn ich diese Aufgabe beendet habe
, dachte er.
Ich habe eine lange Pause verdient, wenn alles vorüber ist.
Kühne Gedanken für jemanden, der sich überhaupt nicht mehr daran erinnerte, was seine Aufgabe war. Doch er war zuversichtlich, dass auch dieses Wissen bald zu ihm zurückkehren würde. Bisher verlief doch alles gut. Wenn nicht bestens ...
Dunkelheit umgab ihn, und er wäre gern noch eine Weile geblieben. Doch es duldete keinen Aufschub mehr. Der Mann ohne Schatten richtete sich langsam auf. Der Sand versuchte, Widerstand zu leisten, rieselte jedoch haltlos an ihm hinab. Es kostete den Getreuen selbst in diesem angeschlagenen Zustand kaum Mühe, sich hindurchzuschlängeln. Vielleicht gelang es ihm sogar noch besser als im Vollbesitz seiner Kräfte, da er nicht ganz stofflich war.
Er versuchte nicht, sich nach oben frei zu graben, denn das wäre zum Scheitern verurteilt. Vielmehr wand er sich wie eine Schlange durch den Sand, bewegte sich vorwärts und wagte erste Schritte. Vorwärts bis ans Ende des Berges und dann hindurch.
Auf seinen Orientierungssinn konnte er sich verlassen. Er fühlte die Kraftlinie unter sich und ihre Stromrichtung. Dort lag Norden, dort endete die Düne.
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