Schartz, S: Elfenzeit 15: Die Goldenen Äpfel
auf dem Boden landete, in Freiheit. Die mit herabwallender Mähne bedeckten Schultern annähernd zwei Meter hoch, ein muskulöser Löwenleib mit Skorpionschwanz und statt eines Löwengesichts das eines menschlichen Mannes, beherrscht von wild glühenden Augen, harten, fast grausamen Gesichtszügen und einem übergroßen, überbreiten Mund mit drei scharfen Zahnreihen.
Sieh mal einer an
, dachte der Getreue überrascht.
Der Mantikor brüllte ein zweites Mal und schüttelte sich, bevor er sein Augenmerk auf den Getreuen richtete, der ruhig dastand.
»Bin ich ... der Letzte?«, fragte das Wesen mit heiserer, ungeübter Stimme.
»Hier? Soweit ich weiß, ja«, antwortete der Getreue. »Die anderen sind nach Jangala gegangen, doch es gibt nicht mehr viele von ihnen. Die Menschen mögen es im Allgemeinen nicht, bei lebendigem Leib verspeist zu werden. Da sie zahlreich wie Zecken und unaufhaltsam wie Mücken sind, haben sie deiner Art den Garaus gemacht.«
»Wieso konnten wir uns nicht zur Wehr setzen?«
»Die Trennung der Welten kam dazwischen. Wie ist dein Name?«
»Kurus.«
»König? Ein großer Name für einen kleinen Mantikor.«
Der schwarze Umhang flatterte, als Kurus den Getreuen mit aufgerissenem Mund anbrüllte. Sein Atem allerdings war erstaunlich frisch. Anscheinend hatte er noch nie einen Menschen verspeist, oder es war schon sehr lange her.
»Ich bin ausgewachsen, du schwarz verhüllter Wicht! Wie willst du dich mit mir messen?«
»Gar nicht«, erwiderte der Getreue gelassen. »Kurus, weshalb wurdest du hier eingesperrt?«
Der Mantikor schwieg verdutzt. Dann setzte er sich auf die Hinterläufe. »Mein ... mein Muttervater tat es«, sagte er dann zögernd.
Es gab nur männliche Mantikore. Angeblich pflanzten sie sich fort, indem die Mütterväter eine bestimmte Frucht schluckten, die sie in sich gären ließen, nach einer Weile wieder auswürgten und dadurch einen Welpen zur Welt brachten.
»Ich war damals noch sehr klein«, fuhr Kurus fort. »Ja ... ich erinnere mich. Ich war für Großes ausersehen, doch er sagte, ich müsse in Sicherheit ausharren, bis es so weit wäre ...«
»Dann wollte dein Muttervater dich wieder rausholen, wenn es an der Zeit war?«
»So sagte er es mir. Was ist mit ihm geschehen?«
»Ich weiß es nicht, Kurus. Doch er wird wohl nicht zurückkehren, nach dieser langen Zeit. Du bist ausgewachsen, aber du hast immer noch den Verstand eines Kindes.«
»Ich ...« Der Mantikor sah nun deutlich verwirrt aus. »Darüber habe ich nicht nachgedacht.«
Der Getreue nickte. »Wie denn auch, nachdem du dein Leben lang eingesperrt gewesen warst? Das ist nicht deine Schuld.«
»Und ... und was jetzt?« Misstrauen blitzte plötzlich in den orangefarbenen Augen auf. »Warum hast du mich befreit?«
»Weil deine Tür sichtbar wurde. An so etwas geht unsereiner nicht einfach vorüber, es sei denn, er hat sie selbst verschlossen.«
Kurus scharrte mit der Tatze über den Boden. »Dann bin ich dir wohl verpflichtet.«
»Ganz recht.« Das war immer der schöne Teil an den Regeln. »Ich schlage dir einen Handel vor.«
Die Löwenohren des Mantikors klappten nach vorn. »Einen Handel?«
»Genau. Ich werde verfolgt, ich bin sehr schwach, und ich muss so schnell wie möglich über dieses Gebirge. Mein Weg führt nach Norden. Trage mich, und ich werde dir unterwegs Wissen beibringen. Am Ziel kannst du deiner Wege gehen und nach den anderen suchen. Oder deiner Bestimmung.«
Der Getreue hatte inzwischen nachgedacht. Ihm war klar geworden, dass er, sollte er sich weiter auf dieser Ebene bewegen, früher oder später von seinen Verfolgern eingeholt würde. Also wollte er sich der Verfolgung durch eine Flucht durch die Zeit entziehen. Gleichzeitig würde er in der Vergangenheit nach seinem Ziel suchen. Er hatte inzwischen begriffen, dass
der Anfang
wörtlich gemeint war – er musste tatsächlich bis dorthin zurück, in die richtige Zeit, um in das richtige Land, an den richtigen Ort zu gelangen. Niemand konnte ihm so weit folgen.
Gleichzeitig brachte er den Mantikor nach Hause. In diese Welt gehörte er nicht. Und der Getreue hatte ein perfektes Transportmittel.
»Nun, was sagst du?«
Kurus zögerte. »Habe ich ... eine Wahl?«
»Willst du denn eine?«
»Nein«, lautete die schnelle Antwort.
»Brav«, sagte der Getreue zufrieden.
Kurus legte den Kopf leicht schief. »Wer bist du?«, flüsterte er.
»Derjenige, der dir die Freiheit gab. Du tust gut daran, das nicht zu vergessen. Im
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