Schartz, S: Elfenzeit 15: Die Goldenen Äpfel
Stetig kämpfte er sich durch den Sandberg aus Windzorn, der sich über ihm aufgetürmt hatte. Dann wurde es heller, die Schichten wurden dünner, und er konnte den ersten Luftzug spüren. Erleichtert atmete der Getreue ein und brach durch den Sandwall hindurch. Endlich stand er im Freien.
Tiefblauer Himmel wölbte sich über ihm, und weit im Westen hing eine rote, leicht verschleierte Sonne. Das Land ringsum hatte sich völlig verändert und war nicht mehr wiederzuerkennen. Sandberge, wohin er schaute, bis an den Fuß des Gebirges. Hinter ihm türmten sich Dünen auf, die bis zu sechzig Meter hoch sein mochten. Falls jemand seiner Spur gefolgt war, hatte er sie nun zweifellos verloren. Vielleicht sogar das Leben.
Chamsin war fort. Vermutlich hatte er Ghibli befreit und mitgenommen. Die anderen Winde hielten sich erst einmal zurück; sie würden abwarten, wie sich die Dinge weiterentwickelten.
Fetzen seines Umhangs hingen herab, und eine kleine Brise, ein Rest von Chamsins verwehtem Zorn, spielte müde mit ihnen. Zweifelsohne bot der Getreue weder einen Furcht einflößenden noch vertrauenerweckenden Anblick. Er sah vielmehr aus wie etwas, das gerade dem Grab entstiegen war – und irgendwie traf das ja zu.
Also weiter. Nun musste er sich doch an den mühsamen Weg über das Gebirge machen, wo ihn, so weit entfernt von der Ley-Linie, Hunger und Durst plagen würden und alle Schwächen, die ein sterbliches Wesen durchmachen konnte.
Er wandte sich zum Gehen, dann stutzte er.
Der Sand war gewandert, hatte neue Dünen aufgetürmt, aber an anderer Stelle Hügel abgetragen und den Boden freigelegt.
Am Rand der Düne, aus der er gerade gestiegen war, war felsiger Boden freigelegt.
Mit einem eingemauerten Metallring.
Dieses Gebiet war schon immer menschenleer gewesen. Wer baute also dort draußen, fern von allem, eine Grube oder einen Schacht, verschloss ihn und hinterließ einen starken Ring als Markierung und Öffner? Sollte das, was sich darunter verbarg, etwa nicht für immer bleiben?
Der Getreue wischte mit den Händen über den Boden, kehrte und blies Sand aus Ritzen und Fugen und legte einen Deckstein frei, umgeben von weiteren quaderförmigen Blöcken, die eindeutig künstlichen Ursprungs waren.
Er prüfte die Festigkeit des Rings. Alter und Zeit hatten ihm nichts antun können; er saß fest und sicher, das Metall war wie neu. Elfenbronze, ohne jeden Zweifel. Der Verhüllte würde nicht genug Kraft aufbringen, um den Deckstein auch nur einen Zentimeter anzuheben.
Also noch einmal die Ley-Linie in Anspruch nehmen.
Es stimmt nicht, was Chamsin sagte. Ich missbrauche sie nicht, habe es nie getan
, dachte der Getreue.
Ich führe sie zu ihrer Bestimmung.
Falls ihn seine Erinnerung nicht trog.
Er schüttelte die Gedanken ab; das war jetzt nicht von Bedeutung. Allein die Konzentration auf die Selbstfindung zählte, alles andere war zweitrangig. Seine Hand sank nach unten, neben den Deckstein, und er tastete mit seinen magischen Sinnen tief hinab. Bald drang ein rötliches Leuchten von unten herauf, dann sickerte roter Nebel nach oben, wie von einer unterirdischen heißen Quelle ausgestoßen. Der Dunst umspielte die Hand des Getreuen, wanderte zu seiner Schulter und von dort den anderen Arm hinunter, dessen Finger sich fest in den Ring verkrallten.
Sobald der Nebel dort angekommen war, spannte der Getreue seine Muskeln an und riss den Deckstein mit einem gewaltigen Ruck aus der Verankerung. Der Schwung riss ihn um. Hastig ließ er los, während er den Halt verlor, und der schwere Stein krachte dröhnend auf den Boden. Der Getreue stürzte auf den Rücken und stieß einen keuchenden Laut aus. Seine Gestalt flackerte für einen Moment und wurde diffuser, doch er fing sich schnell wieder, und sein eiserner Wille zwang ihn hoch.
Er drehte sich und kroch auf allen vieren an den Rand des Schachts, der schwarz heraufgähnte. Uralte, staubige Luft drang hervor und sank auf den Boden.
Ein leises Scharren zeigte an, dass sich etwas dort unten bewegte. Etwas atmete, zog geräuschvoll die sonnenerhitzte Luft ein, die über der Kälte dort unten waberte und kleine Wirbel bildete.
Ein tierhaftes Wesen. Groß. Krallen kratzten über Gestein. Lungen pumpten Luft. Muskeln spannten sich an zum Sprung.
Der Getreue wich zurück und zwang sich auf die Beine.
Und da kam es auch schon heraus.
Ein rotgoldener Schemen, der mit donnerndem Gebrüll und einem gewaltigen Satz sein Gefängnis verließ und mit der Wucht eines Erdbebens
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