Schartz, S: Elfenzeit 19: Kampf um Earrach
enden wird. Aber machen wir uns nichts vor – meine Tage unter den Menschen sind gezählt. Diese Wochen in München haben Spaß gemacht, aber sie müssen enden. Anne und ich werden von London aus auf die Isle of Man zurückkehren. Dort können wir für einige Zeit leben und abwarten, bis der Sturm vorübergezogen ist. Und das Weitere planen, denn ich denke, wir werden reisen. Deshalb bin ich dabei, alles zu regeln, und das dauert eben seine Zeit. London wird derweil schon nicht untergegangen sein.«
»Da sei mal nicht so sicher«, meckerte Chad.
»Ich will zurück zu Ma«, murmelte Rocky und fing mit der Zungenspitze einen Nasentropfen auf. »Ich hättse niemals im Stich lassen dürfen. Zocky is’ ja auch noch da, und der is’ viel jünger und kleiner als ich. Ich hoff nur, Pa hat meine Nachricht endlich gekriegt und kommt mit meinen Brüdern.«
»Und Gundel!«, rief Chad und bekam verdrehte Augen. »Die ist einfach umwerfend!«
»Was stimmt mit dir eigentlich nicht?«, rief Anne mit angeekelter Miene.
»Sie kann mich auf einer Hand tragen!« Der Stadtgnom grinste breit.
Als Erstes hatte Robert nach einem Auto gesucht, in das auch ein Troll, der glücklicherweise nicht normal groß geraten war, hineinpasste. Einen Dodge Nitro in Samtschwarz und Chrom und ein paar Extras, den er mit kindlicher Begeisterung in bar bezahlte und für den er noch eine Menge »Sondervereinbarungen« hinblätterte, wie etwa extrem verstärkte Stoßdämpfer. Damit bekam er innerhalb kurzer Zeit ein Auto importiert und vor die Tür gestellt, für das eigentlich mehrere Monate Lieferzeit veranschlagt waren, weil dieser neue Typ im Prinzip noch gar nicht im Handel war. Ursprünglich hatte Robert mit einem Hummer geliebäugelt, aber Anne meinte, der passe nicht zu ihrem roten Kleid. Tom hatte sich auf Anhieb in den Nitro verliebt.
An einem windigen, Schnee treibenden und ungemütlichen Januarmorgen brachen sie um fünf Uhr früh auf. Robert, der niemanden ans Steuer seines kostbaren Neuwagens ließ, wollte so wenig Stau wie möglich, außerdem konnte Troll Rocky nur bei Dunkelheit ins Auto gebracht werden. Für die etwa elfhundert Kilometer bis London veranschlagte Robert zehn Stunden, länger durften sie nicht brauchen. Für die Kanaldurchquerung hatte er den Zug gebucht, damit Rocky und Chad unsichtbar im Wagen bleiben und keinen Unsinn anstellen konnten.
Schon nach einer Stunde Fahrt, auf den ersten zweihundert Kilometern, begann der Nervenkrieg. Chad und Rocky quengelten abwechselnd, dass es zu eng sei – der Gnom musste zum Gepäck nach hinten, der Troll musste sich fast wie ein Taschenmesser zusammenklappen –, dass ihnen übel sei, sie Hunger hätten, frische Luft und Bewegung brauchten, es dafür aber zu hell wäre und dergleichen mehr. Und alle paar Minuten: »Sind wir schon da? Wie weit ist es noch?« Außerdem sabberten sie, verteilten überall Kekskrümel und verschütteten Cola. Es war schlimmer als mit kleinen Kindern.
Anne zog sich in eisiges Schweigen zurück, Tom saß die meiste Zeit reglos mit verschränkten Armen da, und Robert konzentrierte sich angestrengt auf die Straße. Ab und zu stellte er das Radio lauter. Trotz des schönen Wagens mit dem tollen Sound, von dem er sich nie im Leben vorgestellt hätte, ihn jemals besitzen zu dürfen, wurde es die schlimmste Fahrt seines Lebens. Irgendwann dachte er ernsthaft darüber nach, ob Vampirzähne sich in Trollhälsen vergruben, ohne abzubrechen, und wie viele Umdrehungen es benötigte, um einen Gnomkopf von den Schultern zu schrauben.
Wenigstens blieb der Tag sehr trüb, mit tief hängenden Wolken, sodass kaum Licht durch die getönten Scheiben drang und Rocky nur eine Decke zum Schutz brauchte. Aber die war ihm trotzdem zu warm, und er verlangte alle halbe Stunde, die Heizung abzustellen.
»Warum noch mal«, fragte Tom schließlich, »haben wir uns darauf eingelassen?«
Sie hatten gerade bei Reims die Abzweigung nach Paris hinter sich gelassen. Robert empfand ein wenig Wehmut und wünschte sich, er könnte noch einmal in jene Stadt, in der alles begonnen hatte. Ein Jahr und drei Monate war es erst her. Länger als ein Leben, so schien es … Gewissermaßen war es auch so. Sein Leben war beendet, und etwas Neues hatte begonnen. Er warf einen Blick zu Anne und bemerkte, dass sie ihn ansah. Zärtlich lächelte er ihr zu. Vermutlich hatte sie seine Gedanken erraten. Dennoch blieb ihr Blick eisig, so leicht ließ sie sich nicht besänftigen. Als ob es seine Schuld
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