Schatten Blut
Dad.«
»Einen Arzt?« Er lachte bitter am anderen Ende der Verbindung auf. »Der wird ihr da wohl kaum helfen können.«
»Nein, es ist eine Bekannte aus dem Haus, sie –« Ich brach ab, um sogleich lauernd zu fragen: »Wie meinst du das, ein Arzt würde da nicht helfen können.«
»Wer ist sie.« scholl es durch die Leitung.
»Sie heißt Ernestine Morningdale und wohnt unter uns.«
Er schien abermals kurz zu überlegen und meinte schließlich: »Okay. Soll sie sich kümmern. Ich bin in ein paar Stunden da. Unternimm nichts.« Es klickte in der Leitung, er hatte aufgelegt.
Benommen legte ich den Höher beiseite. Das hatte mir jetzt noch gefehlt! Julie krank und nun noch mein Vater, der sicherlich alles zusätzlich durcheinander bringen würde. Wie gelähmt saß ich auf dem Sofa und starrte die Wand an. Mir war, als wäre mir der Boden unter den Füßen entzogen worden, sämtliche Geschehnisse schienen mir zu entgleiten. Und jetzt auch noch Dad!
»Schlechte Nachrichten?«
Ernestines Frage ließ mich aus meinen Gedanken schrecken. Ich blickte sie an und nickte zögernd. »Wie man es sehen will, Ernestine. Mein Vater kommt her.«
»Oh!« Sie setzte sich neben mich und tätschelte aufmunternd meine Hand. »Ich glaube, das ist eine gute Nachricht. Du scheinst mir mit den Geschehnissen hier doch allmählich überfordert. Julie wird jetzt ein wenig schlafen. Hast du den Tee fertig.«
»Oh Mist!« Ich sprang auf. »Den habe ich ja total vergessen! Der ist jetzt garantiert gallebitter.«
Ernestine lachte nur. »Dann brühen wir eben einen Neuen auf.«
– Kapitel Fünfzehn –
S elten zuvor war ich dermaßen nervös gewesen wie an diesem Tag. Selbst bei meiner Examensprüfung hatte ich Joe Cool Konkurrenz gemacht. Aber meinem Vater gegenüberzutreten und ihm einen solchen Schlamassel präsentieren zu dürfen, überstieg bei weitem meine normale Gelassenheit.
Wie aufgezogen lief ich im Wohnzimmer so lange auf und ab, bis Ernestine mich zur Mäßigung rief. Sie hatte sich inzwischen umgezogen, war mit Jacko eine Runde gegangen und mit frischem Toast zurückgekehrt. Auch zwang sie mich mit ihrer umsorgenden, energischen Art, zumindest ein wenig Nahrung zu mir zu nehmen. Fast bezweifelte ich, dass ich es bei mir behalten könnte.
Immer wieder schaute ich bei Julie ins Zimmer. Sie schlief, doch hörte ich sie in ihrem Schlaf oft leise weinen. Was träumte sie? Und was war geschehen, dass sie dermaßen unnormal reagiert hatte?
Ich konnte mir auf all das keinen Reim machen. Und Ernestine selbst verlor darüber kein einziges Wort. Ich wusste noch nicht einmal, ob sie überhaupt etwas hatte erfahren können. Allerdings muss ich eingestehen, dass ich nicht nachgefragt hatte. Ich war viel zu feige, etwas zu hören, das ich vielleicht gar nicht wissen wollte. An Ernestines Reaktion zumindest konnte ich nichts festmachen, sie benahm sich wie immer.
»Das ist also euer Vater«, meinte sie wie nebenbei und betrachtete das Familienbild auf der Anrichte etwas genauer. »Er sieht recht freundlich aus.«
»Ist er auch«, gab ich ein wenig zerstreut zurück und fügte unterstreichend hinzu: »Normalerweise jedenfalls.«
»Er hat deine Augen, Faye. Und dein Haar.« Sie lachte leise. »Ihr seid einander sehr ähnlich. In jeder Hinsicht.«
Diesmal nickte ich fahrig. »Ja, nur trage ich keinen Bart und dafür mein Haar offen.«
Wieder lachte sie. »Ja, den Unterschied sehe ich. Julie kommt da mehr nach eurer Mutter.«
»Ja. Mutter ist ebenfalls blond. Irgendwo hat Julie sogar ein Bild von ihr. Ich müsste es mal suchen.«
»Lass gut sein, Faye.« Ernestine stellte das Bild wieder zurück.
»Was ich sehen wollte, habe ich gesehen. Wann wollte er hier sein.«
Ich blickte auf die Uhr. Es war viertel nach zwei. »Wenn ich mich nicht total irre, dann sollte er demnächst hier eintreffen.«
Als hätte ich es herbeigerufen, klingelte es an der Tür. Ich zuckte heftig zusammen.
»Bleib hier, ich werde ihm öffnen«, bot Ernestine sich als Puffer an, woraufhin ich ihr einen dankbaren Blick zuwarf. Allerdings war mir schleierhaft, wie es eine Frau von ihrer Größe mit einem massigen Kerl, der mindestens zwei Köpfe größer als sie war, aufnehmen wollte. Doch irgendwie hatte ich wenig Zweifel daran, dass sie ihn zumindest eine Weile würde aufhalten können. Zumindest solange, bis sein erster Ärger verraucht war.
»Wo ist meine Tochter.« vernahm ich kurz darauf im Hausflur den Bariton meines Vaters.
»Ich wünsche Ihnen auch
Weitere Kostenlose Bücher