Schatten Der Erinnerung
niemals brechen. Niemals.«
Regina konnte der berauschenden Erregung, die sie bei dem Gedanken überkam, Slades Treue für immer zu besitzen, nicht Einhalt gebieten. »Aber er hat mich verlassen. Das kann man doch nicht mit Treue vereinbaren.«
»Ich habe gehört, dass er dachte, Sie wären James' Verlobte.«
Regina nickte beschämt. Wie viel hatte Slade Xandria erzählt?
»Slade könnte die Frau, die sein Bruder einst geliebt hatte, nicht heiraten, ohne darüber innerlich in Aufruhr zu geraten. Vorausgesetzt natürlich, er liebt sie.«
»Er liebt mich nicht.«
Anmutig zog Xandria eine Augenbraue hoch. »Das sagen Sie ... «
Regina suchte ihren Blick. Xandria war offenbar der Meinung, dass Slade sie liebte! »Sie haben unrecht«, sagte sie unsicher, denn sie wollte sich nicht mehr zum Narren machen. Aber ihr Herz schlug wild und hoffnungsvoll.
»In all den Jahren, die ich ihn jetzt kenne, hat Slade die schönen Damen dieser Stadt nicht beachtet. Es gab nicht eine einzige Romanze. Außerdem«, fuhr Xandria offen fort, »hat er keine Geliebte und geht nicht einmal in Saloons. Er ist wirklich ein außergewöhnlicher - und sehr begehrter Mann. Aber keiner Frau ist es bisher gelungen, ihn für si zu interessieren, geschweige denn sein Herz zu gewinnen ... «
Regina konnte die fehlenden Schlussworte ergänzen: ... bis Sie gekommen sind. Xandria war entschlossen, sich für ihn einzusetzen, aber Regina hatte Bedenken, sie weiter sprechen zu lassen.
Doch Xandria war nicht zu bremsen. »Ich will auch nicht verschweigen, dass er ungeheuer großzügig ist!
Reichtümer besitzt er nicht, das müssen Sie verstehen, denn er arbeitet als Angestellter für Charles. Er ist sehr, genügsam, gibt keinen Pfennig für sich selbst aus, und er sagt, er habe nur wenige Ansprüche. Was macht er mit seinen Ersparnissen? Das meiste davon gibt er weg.«
»Er tut was?«
»Bescheiden wie er ist wird er es Ihnen nie erzählen. Aber das neue Waisenhaus im Mission Distrikt wurde von Slade allein gebaut. Er allein steuerte die notwendigen Gelder für das Projekt bei. Über die Jahre habe ich festgestellt, dass er eine besondere Zuneigung für Waisenkinder empfindet.«
»Eine Zuneigung für Waisenkinder«, wiederholte Regina. Am liebsten würde sie weinen. Eine solche Sympathie sagte viel aus - offenbar identifizierte sich Slade mit diesen armen, heimatlosen Waisen.
Regina dachte an den Geschäftsmann, dem sie in seinem Büro gegenübergestanden hatte, an den Gentleman, den die schönsten Frauen San Franciscos zu ködern hofften. Sie dachte an den Mann, der hart und loyal für andere und nicht für sich selbst arbeitete, der bescheiden lebte und Waisenhäuser baute. Sie kannte ihren Mann nicht. Er war ein Fremder für sie. Es war, als ob Slade ein Doppelleben führte.
Vielleicht tat er es auch. Aber war das tatsächlich so eine Überraschung? Hatte sie seine Güte nicht von Anfang an bemerkt? Ihr allererster Eindruck war, dass er ein Held und ein Gentleman war, trotz der Fassade, hinter der er das verbergen wollte. Vielleicht wusste sie im Grunde alles Notwendige über ihn.
»Geben Sie Slade nicht auf«, riet Xandria sanft.
Regina schüttelte den Kopf, bis sie in der Lage war zu sprechen. »Ich wusste es, ich wusste die ganze Zeit, dass er ein guter Mensch ist.« Sie betupfte ihre Augen. Er war mehr als ein guter Mensch, und doch - er war von ihr weggegangen, hatte sie im Stich gelassen und ihr Leben unerträglich gemacht.
Wenn ich es gewusst hätte, wäre ich niemals weggegangen.
Regina atmete tief ein. Hatte ihre Maskerade als Elizabeth tatsächlich eine solche Bedeutung für ihn gehabt?
Sollte sie mit diesem komplizierten Mann, der ihr Ehemann war, noch einen Versuch wagen? Blieb sie seine Frau, dann war kein Mittelweg möglich. Es gab nur herrliches Glück - oder entsetzliche Qual. Konnte sie nochmals so großen Kummer riskieren?
»Wenn Sie hier im Haus Ihres Onkels herumsitzen, werden Sie ihn nie kennenlernen«, sagte Xandria. »Wenn Slade in die Scheidung einwilligt und Sie nach England zurückkehren, dann werden Sie ihn nie verstehen.«
Regina blickte sie an. Ihre Entschlusskraft begann zu bröckeln. Hatte das nicht schon gestern bei ihrem ersten Wiedersehen in Slades Büro begonnen?
»Handeln Sie nicht überstürzt.« Xandria drückte ihre Hand. »Und kommen Sie heute abend zum Essen. Bitte, kommen Sie zu uns. Lernen Sie Ihren Mann ein wenig besser kennen, bevor Sie entscheiden, was Sie tun.«
Das klang so vernünftig.
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