Schatten Der Erinnerung
Rechtes als Erstgeborener nicht alles getan war. Wenn Miramar nicht in einer derart tiefen Krise stecken würde, hätte es ausgereicht. Doch dafür war es zu spät. Sollte er
bleiben und Miramar übernehmen, dann brauchte er Geld, und zwar bald. Aus der Korrespondenz, die er sorgfältig durchgesehen hatte, wusste er, dass die Bank unmissverständlich klargemacht hatte, sie gebe ihnen noch neunzig Tage Zeit für die Bezahlung der ausstehenden Raten. Sollten sie nicht zahlen, würde die Hypothek. auf Miramar gekündigt. Die Mitteilung mit der Frist von neunzig Tagen war genau vor zwei Monaten verfasst worden, als ein New Yorker Bankier die Bank übernommen hatte. Nun lief die Zeit unerbittlich ab. Slade hatte dreißig Tage für die Beschaffung der Summe, die notwendig war, um auch nur die Kündigung der Hypothek abzuwenden.
Er dachte daran, dass er sich die erforderlichen dreizehntausend Dollar von Charles Mann leihen könnte. Charles würde ihm das Geld gerne geben. Allerdings hatte Slade ihn noch niemals um etwas gebeten, und die Aussicht darauf bereitete ihm Unbehagen. Außerdem brachte diese Summe sie nicht sehr weit. Damit könnte man weder die nächste Monatsrate noch die für Oktober, November oder Dezember bezahlen. Und sie hätten auch nicht das Kapital, das sie für die notwendigen Veränderungen brauchten, um aus Miramar für die Zukunft ein gewinnbringendes Unternehmen zu machen. Slade hatte immer sehr gut mit Zahlen umzugehen gewußt. Er konnte sich ausrechnen, wieviel Geld und Zeit notwendig waren, um die Ranch aus den roten in die schwarzen Zahlen zu bringen. Fünf Jahre hielt er für eine realistische Einschätzung, die Geldsumme dagegen war astronomisch, Um einen solchen Betrag konnte er seinen Freund niemals bitten.
Außerdem verachtete Rick Charles und würde ihn niemals als Partner akzeptieren. Auch Slade würde nie eine dritte Partei als Partner einbringen, wenn sie nicht zur Familie gehörte. Denn mit dem Geld eines Partners wäre dessen Kontrollmöglichkeit verbunden - vorausgesetzt ein solcher Investor ließe sich finden, was eher unwahrscheinlich war. Die Alternativen wurden mit jeder Sekunde weniger, vor allem, als er den Gedanken an eine Heirat zwischen Edward und Elizabeth verwarf. Diese Möglichkeit wollte er nicht einmal in Betracht ziehen.
Rick hatte recht. Miramar brauchte eine Erbin - und zwar jetzt.
Allein schon der Gedanke, in Miramar zu bleiben - mit Elizabeth -, ließ ihn innehalten. Lang unterdrückte Gefühle brachen hervor. Er liebte Miramar. Ja, er liebte Miramar. Dies war seine Chance, damit hatte er einen Vorwand, um zu bleiben. Sogar James würde verstehen, dass er hierbleiben musste. Aber sie heiraten?
Natürlich hatte er die perfekte Ausrede, die er brauchte, um sie zu heiraten. Aber würde James das verstehen? Falls es einen Himmel gab, würde James dann zu ihm herabblicken und zustimmen, dass er seine Auserwählte zu seiner Gattin machte?
»Das will ich nicht«, rief Slade verzweifelt in die Nacht hinein. Vielleicht sprach er auch zum Geist seines Bruders, denn genau in diesem Augenblick konnte er fühlen, dass jemand da war, als ob James hier mit ihm im nachtdunklen Raum wäre. »Ich will sie nicht heiraten, ich will nicht!«
James war tot, aber ob tot oder lebendig, er würde niemals etwas mit jemandem teilen, das ihm gehörte. Niemals.
Slade kannte seinen Bruder gut genug, um das zu wissen.
Er faßte sich an den Hals, als wollte er einen tatsächlich vorhandenen Henkersknoten lockern. Aber seine Finger fuhren nur über die empfindliche Haut an seiner Kehle. Die Schlinge, die ihm so wirklich erschien, war lediglich ein Werk seiner Fantasie.
Verzweiflung überkam Slade, denn er hatte keine Wahl. Er wandte sich von dem Balkon ab und starrte in die Dunkelheit. »Ich habe keine Chance«, sagte er zerknirscht. Er erwartete fast, dass sein Bruder aus der Nacht auftauchen und mit dem Finger anklagend auf ihn deuten würde.
Wie er wusste, würde ihm sein Bruder die unzüchtigen fleischlichen Fantasien, die ihn quälten, seit er Elizabeth zum ersten Mal begegnet war, niemals verzeihen - ganz zu schweigen von der Erfüllung dieser Fantasien. Konnten Tote wirklich die Gedanken Lebender lesen? Slade hoffte inständig, dass dies nicht der Fall war. Einige Geheimnisse sollten für immer bewahrt werden.
Aber James tauchte nicht auf. Sollte er dagewesen sein Slade war hin- und hergerissen zwischen Hoffnung und Bestürzung -, dann war er jetzt fort. Niemand befand sich in
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