Schatten Der Erinnerung
Gentleman. Obwohl ihm das klar gewesen war, hatte ihn ihr leiser Tadel verletzt. Er war so wenig Gentleman, dass er letzte Nacht beinahe ihre Situation ausgenutzt hätte. Je öfter sich ihre Wege kreuzten, desto schwieriger würde es sein, ihr zu widerstehen - sich selbst zu widerstehen. Eigentlich sollte er sie wegen ihrer Empfänglichkeit für ihn verfluchen, aber er brachte es nicht fertig, denn das war ihr einziger gewöhnlicher Wesenszug. Irgendwie machte er sie noch mehr zu einer Dame, weil darin ein auffallender Gegensatz zu ihrer Korrektheit lag. Er konnte dies nur zutiefst bedauern, aber mit jedem Seufzer des Bedauerns konkurrierte insgeheim etwas wie Hochstimmung.
Er hatte versucht sie wegzustoßen in der Hoffnung, dass ihm das wirklich gelänge. Es wäre ihm auch sicher gelungen, sie abzuschrecken, wenn sie ihn so sehen würde, wie er wirklich war. Aber sie weigerte sich, ihn für einen Mistkerl zu halten, egal, was er tat. Für sie war er ihr Retter und vielleicht auch ihr Held. Wie konnte er gegen diese Dankbarkeit angehen, zu der noch ihr unglaublich schönes Gesicht und ihr großzügiges Herz dazukamen? Wie sollte das möglich sein? Er bemühte sich, aber jedes Mal, wenn sie ihn mit ihren großen braunen Augen ansah, musste er sich zurückhalten um sie nicht in die Arme zu nehmen.
Vielleicht lag das wirkliche Problem darin, dass das Bedürfnis, sie abzuweisen, weniger stark war als der dringende Wunsch, sie zu beschützen. Sie war eine unschuldige junge Frau, die ganz offensichtlich ein anständiges, vornehmes und gesichertes, also ein angenehmes Leben geführt hatte. Jetzt kam zu ihrer Unschuld und Naivität noch der Verlust ihres Gedächtnisses. Wie konnte er da nicht reagieren, sich nicht gezwungen fühlen, auf sie aufzupassen. Eine Frau wie sie hatte, weiß Gott, nicht die geringste Ahnung, wie sie außerhalb ihres behüteten Heimes zurechtkommen sollte.
Die Schlinge lag um seinen Hals. Wenn sie wegginge, bedeutete das sein Verhängnis. Das gleiche galt wenn sie auch nur für kurze Zeit blieb. Er konnte Miramar nicht vergessen. Rick hatte gesagt, wenn er die kleine Erbin nicht bald heiratete, dann würde man ihnen Miramar wegnehmen. Möglicherweise hatte er übertrieben, denn der alte Mann war bekannt dafür, dass er das von Zeit zu Zeit tat, wenn etwas auf dem Spiel stand. Slade würde sich die Bücher selbst ansehen.
Blieb sie, dann müsste er heftig gegen sich selbst ankämpfen, um James nicht zu betrügen. Dabei dachte er nicht nur an seine Fantasien oder seinen verdammten Körper. Er hatte vielmehr den Verdacht, dass ein kleiner Teil von ihm sich weigerte, sich seinem eisernen Willen, zu unterwerfen und die Tatsache zu akzeptieren, dass sie für ihn verboten war. Dieser Teil von ihm erwog sogar, sie zu heiraten.
Sollte die Notwendigkeit bestehen, dann wäre Slade entschlossen, bis ans Ende seiner Tage mit sich zu kämpfen.
Er würde sie weder berühren noch heiraten. Irgendwie würde er die Dinge schon in den Griff bekommen und Miramar retten - falls Rick die Wahrheit gesagt hatte.
Er spielte nicht länger mit dem Gedanken, Miramar zu verlassen und zu Charles Mann nach San Francisco zurückzugehen, in dessen weitverzweigtem Imperium er eine Schlüsselstellung einnahm. Er konnte jetzt nicht fort nicht wenn sein Heim finanziell in Bedrängnis war. Charles hatte ihm zwar gesagt er solle sich für seine Familie so viel Zeit nehmen, wie er brauche, aber trotzdem müsste er ihn bald über seine Pläne informieren. Natürlich würde er nicht für immer bleiben, und er wollte auch den Platz von James nicht einnehmen. Aber gerade jetzt konnte er Miramar nicht verlassen, zumindest so lange nicht, bis mit der Bank ein Übereinkommen erzielt und Miramar aus dem Schlimmsten heraus war. Nachdem er nun schon so lange zu Hause war, musste er sich eingestehen, dass er sich freute, ein wenig länger zu bleiben - unabhängig von Elizabeth. Miramar lag ihm im Blut, und so würde es immer sein. Plötzlich kam ihm der Gedanke, dass er vielleicht überhaupt nicht mehr von Miramar fortgehen würde, wenn James nicht gestorben wäre.
Slade wischte seine unerfreulichen Überlegungen beiseite und ging entschlossen zu Ricks Arbeitszimmer. Er wusste, dass die Besprechung zwischen Rick und Elizabeth bereits seit einiger Zeit vorbei war. Verbissen hoffte er, dass Rick sie nicht zur Heirat mit ihm überredet hatte. Er zweifelte nicht im geringsten daran, dass sie darüber gesprochen hatten. Natürlich wäre es
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