Schatten der Gegenwart (Für Immer & Länger)
bringen. Warum hatte man sie denn auch
sonst?
Kurz überlegte sie wieder. »Und noch
etwas fällt mir da ein. Also seit ich dich kenne und wenn ich mich recht
erinnere ist das schon eine halbe Ewigkeit, hast du die gleiche Frisur. Lang
und blond. Versteh mich nicht falsch, es sieht nicht schlecht aus und ist im
Grunde auch mehr als beneidenswert. Aber ich denke es ist Zeit für etwas Neues!«
Ich wusste nur zu gut, was sie
meinte. Dabei war es irgendwie mehr Bequemlichkeit als alles andere gewesen,
das mich gehindert hatte, etwas zu ändern. Meine Haare wuchsen und benötigen
dankbarerweise keine große Aufmerksamkeit.
Robert hatte das immer in den
Wahnsinn getrieben. Während seine Haare nach dem Aufstehen bockig zu allen
Seiten abstanden, brauchte ich mir nur ein paar Mal mit den Fingern durch meine
Mähne zu fahren und alles lag wieder richtig.
»Du musst ja nicht sofort ja sagen.
Schließlich bin ich nicht Alex.« Sie schien meine Verunsicherung zu spüren.
»Nein du hast Recht. Haare schneiden
– das kann ich. Das haben schon ganz andere hinbekommen.«
Ich würde das schaffen und das letzte
Stück Pizza verschwand in meinem Mund.
Kapitel 8
Ich betrachtete mein Spiegelbild im
Schaufenster. Gleich würden keine blonden Locken mehr meine Schultern hinab
gleiten. Robert hatte manchmal eine meiner Haarsträhnen zwischen seine Nase und
Oberlippe geklemmt und so getan, als hätte er einen üppigen Schnurrbart. Wenn
wir gemeinsam auf dem Sofa kuschelten, hatte er immer mit einer meiner Locken
gespielt und sie gedankenverloren um seine Finger gewickelt. Ich konnte den
Gedanken daran kaum ertragen und versuchte den Kloß in meinem Hals herunter zu
schlucken.
Was sie wohl mit mir machen?
Im Grunde war es egal, Hauptsache es
war etwas anderes. Im Moment wäre ich wohl selbst mit grünen Haaren glücklicher
gewesen als jetzt.
Der Salon sah schick aus, etwas zu
extravagant für meinen Geschmack. Doch nachdem ich Jessica davon überzeugt hatte,
dass es nicht nötig sei, mich zu begleiten, hatte sie darauf bestanden, dass
ich zumindest zu ihrem Stammfriseur ging.
Als ich eintrat kam mir ein schlaksiger
Mann entgegen. Das graue Sweatshirt, das seine Brust umspannte, hatte einen
viel zu tiefen V-Ausschnitt und seine Beine waren in eine viel zu enge rote
Jeans gezwängt. Wenn er das öfter trug, würde das mit dem Kinder zeugen schwer
werden.
»Ahhh du musst Emilia sein, Jessica
hat mir ja schon so viel von dir erzählt«, begrüßte er mich überschwänglich,
Küsschen rechts, Küsschen links. Das mit den Kindern hatte sich erledigt.
Wenn der nicht schwul war, dann war
ich Mutter Theresa.
Was hatte Jessica wohl erzählt? Dass
eine trauernde Witwe eine Aufmunterung gebrauchen könnte?
Er nahm mir meine Jacke ab und führte
mich zu einem der freien Stühle. Seinen eigenen Kopf schmückte eine
überblondierte Kurzhaarfrisur mit langem Pony. Die restlichen Anwesenden sahen
nicht minder speziell aus. Die Frisöse neben mir hatte eine lilafarbene
Haartolle über dem Gesicht hängen und schnitt ihrer Kundin gerade die untere
seitliche Hälfte raspelkurz. Das mit den grünen Haaren kam mir immer
wahrscheinlicher vor.
»So meine Liebe, was möchtest du denn
trinken? Kaffee, Wasser, Prosecco?«
Ich würde wahrscheinlich wirklich
einen Schnaps benötigen, um nicht gleich wieder aufzuspringen. Also entschied
ich mich für den Prosecco. Das war schließlich besser als nichts.
Ein monströs anmutender Stapel
Frauenzeitschriften landete auf meinem Schoß.
»Du kannst ja schon mal ein bisschen
blättern. Ich muss nur noch schnell einer anderen Kundin die Haare stylen, dann
bin ich ganz für dich da«, und schon huschte er davon. Bei jeder seiner Schritte
schwankten seine Arme etwas zu sehr hin und her, als wäre er auf einem Catwalk
und nicht in einem Friseursalon. Trug er etwa Plateauabsätze? Wo war ich hier
bloß gelandet?
Lustlos blätterte ich durch die
Hefte. Ich wusste nicht, was ich wollte, geschweige denn wonach ich Ausschau
halten sollte. Eine Schlagzeile jagte die Nächste – Kronprinzessin endlich
schwanger – Topmodel stürzt sich in Alkohol – Wie wird sie mit der Trennung
fertig?
Unauffällig näherte sich eine junge
Frau. Sie schien die einzig Normale, neben mir, in diesem Raum zu sein und
stellte das Glas mit sprudelndem Prosecco vor mir ab.
»Dürfte ich Ihnen schon einmal die
Haare waschen bis Jacques wieder kommt?«, fragte sie ganz leise und schüchtern.
Er hieß also Jacques. Wie auch
Weitere Kostenlose Bücher