Schatten der Gegenwart (Für Immer & Länger)
ist für mich kein
Abschied.« Glas Nummer drei wanderte meine Kehle hinab. Inzwischen war der Füllstandspegel
in meinem Magen höher, als der in der Flasche. Aber die erhoffte Wirkung ließ
auf sich warten. Es würde nicht reichen. Niemals würde es mehr reichen. Ich war
immer noch völlig klar, stand ohne berauschenden Nebel vor den Scherben meines
einstigen Lebens. »Ich durfte ihr ja nicht einmal sagen warum!«
Ich wünschte mir so sehr, dass der
Alkohol in meinen Blut endlich die gewohnte, die gewöhnliche Wirkung zeigte. Aber
er tat es nicht.
»Robert, niemals hätte ich dies von
dir verlangt, wenn es einen anderen Weg gegeben hätte. Aber den gibt es nicht,
nicht für uns. Sie würde sterben! Könntest du damit Leben?«
»WAS HAT DAS HIER MIT LEBEN ZU TUN!«
Es schrie wie von selbst aus mir heraus und ich schleuderte das halbvolle Glas in
Richards Richtung. Um ein Haar hätte das Geschoss seinen Kopf getroffen, doch
mit einer blitzschnellen Bewegung wich er aus und das Glas zerschellte hinter
ihm an der Wand. Ein Teil des Whiskeys lief die Tapete entlang und sammelte
sich in den am Boden liegenden Scherben. »Erzähl du mir nichts von Leben!«
Er hatte nicht einmal mit der Wimper
gezuckt. In anmaßender Seelenruhe schlenderte er zu einem großen, hölzernen
Schrank.
»Wenn du dir schon einen Kater
antrinken willst, dann musst du auch den richtigen Stoff dazu nehmen«, sprach
er und ergriff zwei Gläsern und ein Flasche mit purem Alkohol. Alles stellte er
vor mir auf den kleinen Beistelltisch und schenkte uns jeweils einen großen
Schluck ein.
»Niemals wollte ich, dass du das
Gleiche durchmachen musst wie ich.« Die Flammen des Kamins spiegelten sich in
seinen Augen und die Falten, die sein Gesicht durchzogen, wirkten mit einem Mal
tiefer denn je. »Ich weiß, wie schwer es ist, jemandem für immer Lebewohl zu
sagen. Schwieriger, als einfach zu gehen oder zu sterben. Aber es war das
einzig Richtige, was du tun konntest. Sie würde es nicht überleben, wenn die
anderen von ihr erfahren würden. Ich weiß, wozu sie in der Lage sind. Ich habe
es bei meiner eigenen Frau miterleben müssen und sie hätte es beinah nicht
überstanden, nur weil ich sie nicht gehen lassen wollte.« Diesmal war er
derjenige, der sein Glas in einem Zug leerte. »Niemals hätte ich dir davon
erzählen dürfen. Es tut mir leid.«
Richard war nicht nur einer von uns,
einer wie ich, er war im weitesten Sinne unser Anführer, wenn man ihn überhaupt
als solch einen bezeichnen konnte. Er hielt die Fäden in der Hand, gab mir und
den anderen beiden – Ria und Johann – die Richtung vor. Und er war es auch, der
mich darin unterwiesen hatte, was ich nun war und worin meine Aufgabe bestand.
Mein Blick fiel auf das Etikett der
Flasche, ich kannte sie. Als ich hier ankam, als ich zu dem wurde, was ich
heute war, hatte Richard sich ebenfalls diesem Gebräu hingegeben, bis seine
Sinne schließlich völlig benebelt waren.
Damals hatte er mir von dem Fenster
erzählt, von der Möglichkeit, mit unseren Liebsten in Verbindung zu treten. Ein
Fenster, das den Kontakt ermöglichte und dessen Zeitspanne nur sehr begrenzt
war. Verfehlte man es, dann konnte man nie hindurch. Hatte man es aber einmal
betreten, dann blieb es für immer offen. Bis einer von beiden es schloss, bis
einer von beiden sich weigerte, es erneut zu öffnen. Mit keinem Wort konnte ich
beschreiben, wie es sich angefühlt hatte, wie es überhaupt möglich gewesen war.
Während ich still in meinem Zimmer gesessen hatte, hatte mein Geist, meine
Gedanken eine Reise zu ihr angetreten. Ich konnte sie hören, sie spüren, ihren
lieblichen Duft riechen. Alles war zauberhaft, beinah magisch, egal was es war,
was ich in diesem Moment war – ich hatte es getan. Ich hatte die Welt zu ihr
betreten und nicht ein einziges Mal an die damit verbundenen Konsequenzen
gedacht.
Ria und Johann war es niemals
gelungen, diese Welt zu betreten und nie waren sie in ihr altes Leben zurückgekehrt.
Wahrscheinlich wussten sie nicht einmal von dieser Möglichkeit. Was hatte
Richard ihnen – uns – wohl noch alles vorenthalten? Wenn er sich nicht so gehen
gelassen hätte, wäre auch mir diese Möglichkeit verwehrt geblieben. Es war
etwas, dass nur Richard und mich verband. Wir beide kannten das Glück und nun kannte
auch ich den Schmerz.
»Wir haben alle Hebel in Bewegung
gesetzt, damit sie dich vergessen kann. Du solltest dich bei Gelegenheit bei
Maria bedanken. Sie hat großartige Arbeit
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