Schatten der Gegenwart (Für Immer & Länger)
darauf,
tot zusammenzubrechen. Es schien mich zu zerreißen und ich schlug automatisch
die Arme vor der Brust zusammen, damit ich nicht auf der Stelle in tausend
Stücke zerfiel.
Ich musste tot sein – ich musste in
der Hölle sein – ich fühlte nichts als Schmerz. Er fraß sich durch meinen
Bauch, kroch die Speiseröhre entlang, verätzte meine Stimmbänder, ließ meine
Gliedmaßen absterben, machte mich taub, machte mich blind.
»Wenn du ihn auch nur ein wenig so
sehr geliebt hast, wie er dich, dann musst du ihn gehen lassen. Er konnte sich
nicht anders entscheiden.« – die Stimme von Ines dröhnte in meinem Kopf wie Vorschlaghammer. Ich hatte
das Gefühl, dass er gleich zerplatzen würde.
Robert hatte mich nicht geliebt – nicht
mehr.
Warum würde er mir sonst so etwas
antun? So etwas tat man niemandem an, den man aufrichtig liebte! Er hatte mich
nicht mehr geliebt!
Und er konnte sich anders entscheiden
– er hatte es soeben getan! Er hatte sich entschieden, mich zurückzulassen – mich
sterbend zurückzulassen. Er war gegangen. Er war freiwillig gegangen, einfach
so. Er hatte es so entschieden. Er hatte sich für ein Leben ohne mich entschieden.
Das war es, was so schmerzte.
Freiwillig – er hatte es freiwillig
getan. Er war nicht von einem Auto überfahren worden, er hatte keinen tödlichen
Unfall, er hatte keine totschwere Krankheit, er hatte keine Herzmuskelentzündung
– er war freiwillig gegangen.
Der Mann, der sich von mir
verabschiedete hatte, hatte nichts mehr mit meinem Mann gemein. Er war kalt,
gefühllos, versteinert und er wollte mich nicht mehr an seiner Seite. Er wollte
nicht mehr jede Sekunde mit mir teilen.
Und aus dem Schmerz wurde Leere. Ein
riesiges Loch breitete sich in mir aus, schwarz und betäubend, es pulsierte
durch meinen Körper und löschte jegliches Gefühl – ich musste tot sein.
Er hatte gesagt, er würde alles in
seiner Macht stehende tun, damit ich ihn vergessen könne. Wie sollte das je möglich
sein? Ich hatte es schon einmal versucht und versagt.
Ich sprang auf. Doch ich war zu
schnell für meinen Körper und schlug mit dem Kopf gegen die Tischkante. Etwas
Warmes lief mir die Schläfe entlang, aber ich spürte keinen Schmerz mehr. Ich
tastete mit meiner Hand an meinem Kopf entlang und sah dabei zu, wie das Blut auf
die weißen Fliesen tropfte.
Wer blutete, konnte nicht tot sein.
Ich nahm ein Küchentuch, drückte es
mir an die Schläfe und torkelte ins Wohnzimmer. Als ich das Licht anmachte,
wirkte der Raum unverändert. Unverändert für normale Augen, aber ich wusste,
wonach ich suchen musste. Ich schwankte zum Esstisch und ließ meine Hand über
die Seite gleiten – das Furnier war vollkommen in Takt. Es sah genauso aus, wie
die andere Seite.
Schnell drehte ich mich zum Sofa um
und wäre beinahe wieder gestürzt. Ich musste mehrfach blinzeln, um die
tanzenden hellen Punkte vor meinem inneren Auge verschwinden zu lassen. Und da
sah ich es, oder ich sah es vielmehr nicht. Da war keine Kuhle mehr. Es sah aus
wie neu – keinerlei Abdruck zeichnete sich darauf ab.
Panik packte mich. Wenn er all dies
hatte verschwinden lassen, was war dann mit…
Ich rannte. Immer wieder rutschte ich
auf dem Parkett aus, landete auf den Knien, raufte mich wieder hoch, fiel auf
die Seite. Ich hatte keine Zeit zu verlieren. Das durfte er mir nicht auch noch
nehmen! Das nicht!
Atemlos und mit aufgeschlagenen Knien
stand ich vor seinem Schrank, umfasste mit zittrigen Händen die Türgriffe.
Er war leer.
Dort wo seine Anzüge und Hemden
gehangen hatten, war nur noch eine leere Garderobenstange. Der Regalboden, den
ich vollgestopft zurückgelassen hatte – leer. Seine Lieblingsjeans – weg.
Ich lies mich auf das Bett sinken.
Der Schrank stand wie ein schwarzes Loch offen.
Und noch etwas hatte er mir genommen.
Sein Geruch war mit samt dem Schrankinhalt verschwunden. Es roch nur noch nach
Staub und Holzpolitur.
Ich spürte die Bettdecke unter meiner
Hand – meine Decke. Es gab nur noch sie. Dort lag nur noch ein Kissen,
nur noch eine Decke.
Es war, als hätte es ihn nie gegeben.
Nichts mehr erinnerte an ihn. »Wie kannst du mir das nur antun! WIE KANNST DU
NUR!«, schrie ich dem Schrank entgegen. »Du solltest doch auf ihn aufpassen und
ihn für immer bewahren! Gib ihn mir wieder! GIB MIR MEINEN MANN ZURÜCK!«
Und dann kam der Schmerz wieder –
unbarmherzig und mächtig. Ich rollte mich ganz fest zusammen, in der Hoffnung
ihm so Einhalt gebieten zu können. Aber
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