Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schatten der Gegenwart (Für Immer & Länger)

Schatten der Gegenwart (Für Immer & Länger)

Titel: Schatten der Gegenwart (Für Immer & Länger) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Norda
Vom Netzwerk:
entglitt. Wie eine Puppe lag er vor mir
und war einen Augenblick später verschwunden – für immer.

Kapitel 19
     
    Richard und ich wechselten kein Wort
miteinander. Er hatte gesehen, was ich getan hatte. Er war der Einzige, aber er
hatte es gesehen. Während Ria sich an der Beschreibung ihres fulminanten
Sprunges ergötzte, empfand ich nichts.
    Ich hatte einen von uns ausgelöscht. Dabei
war es mir bis dato nie in den Sinn gekommen, dass dies überhaupt möglich sei.
Aber ich hatte es getan. Ich hatte ein Leben beendet, ich hatte einen von uns
erlegt. Und Richard hatte es gesehen, er wusste es und sagte kein Wort.
    Als wir aufgebrochen waren, hatte ich
die Lichter der herannahenden Polizei am Horizont gesehen, die wir selbst durch
einen Anruf alarmiert hatten. Sie würden acht Kinder, eines davon in
Lebensgefahr, und sechs tote mutmaßliche Täter auffinden. Von dem siebten Opfer
des Abends fehlte jede Spur – er war ausgelöscht. Niemand würde wissen, dass er
ebenfalls dort gewesen war. Niemand würde wissen, dass es ihn gegeben hatte.
    In der Villa gingen Ria und Johann
direkt auf ihre Zimmer. Sie spürten, dass etwas nicht stimmte. Und während Ria
noch versuchte nachzuhaken, schob Johann sie sanft die Treppe hinauf.
    Zurück in der Eingangshalle blieben
nur Richard und ich – und er wusste, was ich getan hatte.
    Und so standen wir da, keiner von uns
beiden sagte ein Wort, es herrschte gespenstische Stille. Mit schlurfenden
Schritten, als hätte er mit einem Schlag jegliche Kraft verloren, ging Richard
ins Wohnzimmer. Der Mann, der soeben noch mit gestärkten Schultern und wachem
Blick das Leben von acht unschuldigen Kindern gerettet hatte, war nur noch ein
Schatten seiner selbst.
    Ich folgte ihm. Was sollte ich auch
anderes tun? Er hatte es gesehen, er wusste es. Er würde ein Urteil sprechen
und bei dem Gedanken daran, dass er mich ausschließen würde, dass ich niemals
mehr mit ihnen zusammen unterwegs sein würde, krampfte sich mein Magen
zusammen. Vor Kurzem hatte ich mir noch Gedanken darüber gemacht, dass mich nie
jemand gefragt hatte, ob ich hier sein wollte. Jetzt, da der Moment gekommen
war, in dem mir vielleicht das alles genommen wurde, kannte ich die Antwort.
Ich hatte keine Wahl – denn genau hier gehörte ich hin. In diese Gruppe, an
ihre Seite – und ich hatte alles zerstört.
    Da zählte es auch nicht, dass das
Opfer einer von ihnen gewesen war. Einer von denen, die um ein Haar ein
unschuldiges Leben genommen hatten. Einer von denen, die sie gehetzt hatten.
Einer von denen, die sie gejagt hatten, so dass sie fast vor einen Bus gelaufen
wäre.
    Richard griff in die hinterste Ecke
einer Kommode und angelte eine der hochprozentigen Flaschen zu Tage.
    »Wir sollten das nicht hier drinnen
besprechen«, sagte er und verließ das Wohnzimmer in Richtung Veranda.
    Gemeinsam betraten wir den Garten.
Das Gras hatte sich nach unserer letzten Trainingseinheit an einige Stellen
bereits wieder aufgerichtet. Die dornigen Hecken und Sträucher, die die
Rasenfläche umfassten, boten uns Schutz vor ungebetenen Blicken und nur vom
Haus aus, konnte man uns sehen.
    »Was hast du dir nur dabei gedacht?«
    Ich hatte Zorn, Wut in seiner Stimme
erwartet – stattdessen traf mich seine Besorgnis wie ein harter Schlag ins
Gesicht.
    »Ich weiß es nicht«, stotterte ich
meine Antwort und mein Hals wurde immer trockener. Ich wusste es wirklich
nicht. Ich hatte nicht nachgedacht, ich hatte gar nichts gedacht, ich hatte es
einfach getan. Ich hatte ihm einfach das Genick gebrochen, ihn einfach so
umgebracht. »Ich wusste nicht einmal, dass es möglich ist.«
    »Ach dachtest du nur weil wir
inzwischen ein Teil des Sterbens sind, könnten wir selbst nicht sterben?«
Richard setzte die Flasche an und nahm einen kräftigen Schluck. Es war ein
weiteres Mal, dass er sich so gehen ließ. Und jedes Mal schien ich der Auslöser
zu sein.
    Es gab nur eine Möglichkeit, dem
Ganzen Einhalt zu gebieten.
    »Wenn du willst, dass ich gehe –«
    »Du wirst nirgendwo hingehen. Du bist
ein Teil von uns und ich werde bestimmt nicht mit ansehen, wie sie dich jagen!«
    Ich war erschüttert über seine
schnelle Antwort. Für ihn schien es keinerlei Option zu sein. Und doch verstand
ich nur die Hälfte – wer sollte mich jagen?
    Da traf es mich, die Erkenntnis – sie
waren damals zu dritt gewesen, in der Halle war er allein. Es gab noch andere.
Entgeistert über diesen Gedanken sah ich Richard an und der sorgenvolle Blick
in seinem Gesicht

Weitere Kostenlose Bücher