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Schatten der Gegenwart (Für Immer & Länger)

Schatten der Gegenwart (Für Immer & Länger)

Titel: Schatten der Gegenwart (Für Immer & Länger) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Norda
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nicht
erwartet. Setz dich doch. Ich kann dir leider nichts anbieten. Die Schwestern
hier erlauben einem keine privaten Vorräte. Sonst bildet sich nur wieder ein Schwarzmarkt,
wiegeln sie immer ab. Als ob man mit einem Stück Schokolade ein zweites
Warenwirtschaftssystem aufbauen könnte. Den säuerlichen alten Schachteln hier
würde etwas Süßes mal ganz gut tun.« Er lachte zögerlich vor sich hin und ich
stimmte mit ein.
    Mit einem Mal schien es mir völlig
bedeutungslos zu sein, dass er mich nicht sofort erkannt hatte. Dies war
eindeutig mein Vater, der immer wieder versuchte, eine Rebellion herauf zu
beschwören und unaufhörlich gegen Missstände kämpfte.
    »Ich hoffe, ich komme nicht ungelegen«,
setzte ich an. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Allgemein hatte ich mir
keine Gedanken darüber gemacht, was ich hier eigentlich wollte. Ich wusste
nicht, worüber ich mit ihm reden sollte, schließlich war es über ein halbes Jahr
her, dass wir uns das letzte Mal gesehen hatten.
    »Ach nein nein, wo denkst du hin. Ich
freue mich sehr, dass du mich besuchen kommst. Wann haben wir uns das letzte
Mal gesehen? Vor ein paar Wochen, oder?«
    Er wusste es nicht mehr, er hatte
mich nicht vermisst. Die Krankheit hatte ihm jegliches Zeitgefühl geraubt.
Eigentlich hätte ich froh darüber sein sollen. Er würde mich nicht mit
Missgunst strafen, weil ich so lange nicht da gewesen war. Es würde keine
Vorwürfe geben, doch ich schämte mich zutiefst vor meiner eigenen Feigheit. Ich
hatte ihn so lange allein gelassen und dabei gab es nur noch uns zwei. Wir
hatten nur noch einander.
    »Ja, ein paar Wochen ist es schon her«,
antwortete ich schüchtern. »Geht es dir gut Paps? Ich meine mit Ausnahme der
unerlaubten Schokolade?«
    »Ach ja ist schon ganz nett hier«,
sagte er und sah aus dem Fenster. »Ich hab ja das Glück, selbst zu entscheiden,
wohin ich gehe. Sieh dir die alten Weiber da draußen an. Immer wieder werden
sie vor den Ententeich gekarrt. Dabei lebt da schon lange nichts mehr drin. Sie
haben mit den Tonnen an Toastbrotkrümeln alles abgetötet, was in dem Teich mal
gelebt hat. Aber an die Alster, da bringt einen keiner hin. Da muss man schon
zu Fuß gehen. Es ist unglaublich beruhigend, den Wellen zuzusehen, wie sie an
die Kaimauer peitschen.« Er sah mich an und sein Gesicht war der Inbegriff
eines in sich ruhenden Mannes. »Ich würde also sagen, ja mir geht es gut. Und
was ist mit dir mein Mädchen? Du siehst müde aus.«
    »Das bin ich auch, aber das ist jetzt
nicht wichtig. Ich freue mich einfach, dich zu sehen und das es dir gut geht.«
    Und so redeten wir weiter belanglos
langhin. Er erzählte mir von den Teilen, die er in Hamburg besichtigt hatte und
ich berichtete ihm von meinem erfolgreich abgeschlossenen Großprojekt. Er
schien dabei vor Stolz wirklich fast zu platzen.
    Sichtlich gerührt nahm er meine Hand.
»Lass dich von diesen Trotteln bloß nicht unterkriegen. Du bist meine Tochter
und allein das macht dich schon zu etwas ganz Besonderem.«
    Er steifte mit seinem Daumen über
meine Finger. Als er an dem hellen Streifen ankam, an dem die Haut ganz blass
war, weil über zwei Jahre kein Sonnenlicht mehr herangereicht hatte, sah er mir
tief in die Augen.
    Der vernebelnde Schleier, der zuvor
noch über seinem Blick gelegen hatte, war verschwunden. »Was ist mit Robert?«
Mehr fragte er nicht und es verschlug mir die Sprache.
    »Er ist weg«, konnte ich gerade noch
antwortet. Dann wurde meine Stimme von einem Meer aus Tränen ertränkt.
    Sanft zog er mich zu sich und hielt
seine Arme fest um mich geschlungen. »Schhhhttttt, es ist alles gut mein
Kleines. Alles wird wieder gut. Lass es ruhig raus.« Sanft wog er mich hin und
her, so wie er es früher immer getan hatte, um mich zu trösten.
    Ich weinte, ich schrie kurz auf, ich
weinte weiter und er hielt mich einfach nur fest. Er flüsterte mir beruhigende
Worte ins Ohr und auch diesmal verfehlten sie ihre Wirkung nicht. Das hatten
sie noch nie getan. Die löwenstarken Schultern meines Vaters hatten mich immer
beschützt und geborgen. Und auch wenn sie nicht mehr ganz so muskulös waren wie
damals, sie hielten mich noch immer fest. Sie beschützten mich und gaben mir
Halt. Er war immer noch mein Vater. Ganz gleich was ihm die Krankheit bereits
angetan hatte – und er hielt mich fest.
    Als ich mich langsam wieder beruhigt
hatte, umgriffen seine Hände meine Schultern und richteten mich auf.
    »Ich werde uns jetzt erst mal etwas
zu trinken besorgen

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