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Schatten der Gegenwart (Für Immer & Länger)

Schatten der Gegenwart (Für Immer & Länger)

Titel: Schatten der Gegenwart (Für Immer & Länger) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Norda
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Fahrstuhl auf der rechten Seite und
in der dritten Etage halten Sie sich einfach links. Sie können es kaum
verfehlen.«
    Ob es hier öfter passierte, dass
keiner kam, um die Patienten zu besuchen? Oder war ich die kaltherzige
Ausnahme, weil ich es selbst nicht ertrug, ihn so zu sehen und dabei vielleicht
seine Bedürfnisse ignorierte?
    Mit einem leisen Ping öffneten sich
die Türen des Fahrstuhles und entließen mich in die dritte Etage. Beinah wäre
ich mit einer älteren Dame zusammengestoßen, die mit ihrem Rollator direkt
links neben dem Fahrstuhl stand.
    »Entschuldigen Sie bitte. Ich hoffe
Ihnen ist nichts passiert«, richtete ich schnell die Worte an sie. Mit
ungläubigen Augen sah sie mich an. Wortlos verharrte sie auf der Stelle. »Ist
alles in Ordnung mit Ihnen?«, fragte ich zögerlich. Ich hatte ein ungutes
Gefühl, sie einfach so hier stehen zu lassen.
    Ich hörte, wie sich Schritte näherten
und eine in der Pflegeuniform der Einrichtung gekleidete Frau hektisch auf uns
zugelaufen kam.
    »Frau Müller«, rief sie laut und kam
etwas außer Atem bei uns an. »Frau Müller, was machen sie denn nur? Sie können
doch nicht einfach so allein losgehen. Das hatten wir doch besprochen.« Sie
schrie die ältere Dame geradezu an, die etwas betröppelt zu der Schwester aufsah.
Erst da bemerkte ich, dass sie ein Hörgerät trug, welches zwischen ihren weißen
Locken hervorlugte. Sie hatte mich wahrscheinlich nicht einmal gehört, als ich
sie gefragt hatte, ob es ihr gut ginge.
    »Danke, dass Sie Frau Müller
festgehalten haben«, wand sich die Pflegerin an mich. »Kann ich Ihnen irgendwie
helfen?«
    »Ja, ich bin auf der Suche nach
Zimmer 385.«
    »Ach dann wollen Sie zu Herrn Dryker.
Gehen Sie einfach den Gang entlang bis Sie die Treppe passiert haben. Es ist
dann das erste Zimmer auf der rechten Seite. Wundern Sie sich nicht, heute ist
sein Zeitungstag. Sie werden also etwas Geduld mitbringen müssen.«
    Fragen blickte ich sie an. »Was
meinen Sie denn mit Zeitungstag?«
    »Herr Dryker liest jeden Mittwoch den
halben Tag die Zeitung, so lange, bis er sie in und auswendig kennt. Er macht
damit die anderen Bewohner beim Mittagessen immer ganz närrisch, wenn er aus
der Zeitung rezitiert, als würde er daraus vorlesen.«
    »Das klingt ganz nach meinem Vater.«
Ich musste fast lachen. Er hatte es immer geliebt, mit seinen Mitmenschen seine
Spielchen zu treiben und sie auf die Palme zu bringen.
    »Ach dann sind sie also seine
Tochter. Er hat mir schon so viel von Ihnen erzählt. Er platzt immer geradezu
vor Stolz, wenn er von seiner erfolgreichen Tochter berichtet. So jetzt muss
ich aber los. Frau Müller wird sonst noch ungeduldig«, verabschiedete sie sich
und führte die alte Dame in den Fahrstuhl.
    Ich schritt den Gang entlang, wie mir
es mir die Frau erklärt hatte, und erreichte ohne weitere Vorkommnisse Zimmer
385.
    Sollte ich wirklich eintreten?
    Er war immer für mich da gewesen, aber
ich hatte ihn allein gelassen. Ich konnte es nicht ertragen, den einst so
starken Mann dahinsiechen zu sehen. Der Mann, der sich als einfacher
Lagerarbeiter hochgekämpft hatte und schließlich zum Ende hin einem
mittelständischen Unternehmen vorstand. Ich wollte mich an den Erinnerungen
festhalten, an den schönen Erinnerungen.
    Als ich die Tür öffnete, blickte ich
in ein kleines, lichtdurchflutetes Zimmer und da saß er, auf einem schwarzen
Ledersessel – mein Vater, der gerade dabei war, die Zeitung zu lesen.
    Er schielte über den Zeitungsrand und
als er mich sah, erhellten sich seine Gesichtszüge. »Na wenn das mal keine
Überraschung ist. Womit habe ich denn den Besuch einer so hinreißenden jungen
Frau verdient? Kommen Sie doch rein.« Seine Stimme klang anders als früher -
rauer, wenn nicht sogar etwas angeschlagen.
    »Hallo Paps. Ich bin es Emilia«,
sagte ich und schloss die Tür hinter mir. So schlimm war es also. Er erkannte
mich nicht einmal mehr. Als er mich immer noch mit fragendem Blick ansah, fügte
ich hinzu: »Deine Tochter.«
    Die Zeitung glitt ihm aus den Händen
und er sah beschämt auf den Boden. Langsam erhob er sich aus seinem Sessel und
kam auf mich zu.
    »Natürlich bist du das! Wer solltest
du auch sonst sein«, sprach er erschüttert, als müsse er sich gegen falsche
Behauptungen verteidigen. Zaghaft nahm er mich in die Arme und küsste mich auf
die Wange. »Meine Tochter«, flüsterte er ganz leise und so verharrten wir
mehrere Minuten in unserer Umarmung.
    »Ich habe dich heute gar

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