Schatten der Liebe
Weihnachtszeit hatte Meredith es zweimal fertiggebracht, unter dem von ihr in der Diele aufgehängten Mistelzweig zu stehen, als Parker und seine Familie den Bancrofts ihren Weihnachtsbesuch abstatteten. Und diesem Mistelzweig-Trick hatte sie es zu verdanken, daß sie vor vier Jahren den ersten Kuß ihres Lebens erhielt, natürlich von Parker. Von der Erinnerung daran hatte sie das ganze folgende Jahr gezehrt, und sie träumte nur noch davon, wie er sich angefühlt, wie er geduftet und wie er sie angelächelt hatte, bevor er sie küßte.
Bei jedem Dinner lauschte sie gebannt, wenn er vom Geschäft und seiner Arbeit bei der Bank sprach. Besonders liebte sie die Spaziergänge, die sie anschließend gemeinsam unternahmen, während ihre Eltern über einem Brandy weiterdiskutierten. Während ihres letzten Spaziergangs im vergangenen Sommer hatte Meredith die bestürzende Entdeckung gemacht, daß Parker sich schon immer über ihre Schwärmerei im klaren gewesen war. Er hatte sie zunächst gefragt, wie der letzte Skiwinter in Vermont gewesen sei, und Meredith hatte ihn mit einer amüsanten Geschichte darüber ergötzt, die sie mit dem Captain des Skiteams von Litchfield erlebt hatte. Als Parker aufgehört hatte, darüber zu lachen, wie ihr Begleiter die gesamte Piste hinter ihrem Ski hergejagt war, sagte er lächelnd, aber mit fast feierlichem Emst in der Stimme: »Jedes Mal, wenn ich dich sehe, bist du schöner als beim letzten Mal. Ich glaube, ich habe immer gewußt, daß irgendwann jemand meinen Platz in deinem Herzen einnimmt, aber ich hätte nicht damit gerechnet, daß es ein Kerl sein würde, der deinen Ski rettet. Ich hatte mich nämlich schon fast daran gewöhnt«, neckte er sie, »dein Märchenprinz zu sein.«
Nur ihr Stolz und ihr gesunder Menschenverstand hielten Meredith davon ab, lauthals herauszuplatzen, daß er sie völlig mißverstanden und daß niemand seinen Platz eingenommen habe; sie war aber auch nicht so dumm vorzutäuschen, daß er nie einen Platz in ihrem Herzen gehabt hätte. Da ihr angeblicher Treuebruch ihn offenbar nicht weiter berührte, tat sie das einzig Vernünftige: Sie versuchte, ihre Freundschaft zu retten und gleichzeitig ihre Schwärmerei als etwas längst Vergangenes abzutun, über das auch sie inzwischen nur noch lachen konnte. »Du hast gewußt, daß ich dich angehimmelt habe?« fragte sie und brachte sogar ein Lächeln zustande.
»Sicher habe ich es gewußt«, betonte er und erwiderte ihr Lächeln. »Ich habe mich immer gefragt, wann dein Vater es bemerken und mit einem Gewehr auf mich losgehen würde. Er ist außerordentlich besorgt um dich.«
»Das habe ich auch bemerkt«, ulkte Meredith, obwohl ihr nicht zum Scherzen zumute war und obwohl dieses Thema sie besonders belastete.
Parker mußte lachen, dann räusperte er sich und sagte: »Auch wenn dein Herz jetzt einem Ski-As gehört, hoffe ich doch, daß unsere gemeinsamen Spaziergänge, unsere Abendessen und Tennismatches deshalb nicht wegfallen. Ich habe sie immer sehr genossen; ganz ehrlich.«
Der Spaziergang endete mit einem Gespräch über Merediths Studienpläne und ihre Absicht, in die Fußstapfen ihrer Ahnen zu treten und schließlich ihren rechtmäßigen Platz als Präsidentin von Bancroft & Company einzunehmen. Er schien der einzige zu sein, der ihre Gefühle in dieser Richtung verstand, und er glaubte auch ehrlich daran, daß sie sie verwirklichen könne, wenn sie nur hart genug dafür arbeitete.
Nun, während Meredith hier in Bensonhurst ihre Koffer packte und darüber nachdachte, daß seit jenem Gespräch ein ganzes Jahr verstrichen war, versuchte sie sich mit dem Gedanken abzufinden, daß Parker vermutlich niemals mehr als ein Freund für sie sein würde. Diese Aussicht war deprimierend und brach ihr fast das Herz, aber immerhin fühlte sie, daß sie seiner Freundschaft sicher sein konnte, und das bedeutete ihr viel.
Hinter Merediths Rücken warf Lisa den letzten Armvoll Kleider neben einen offenen Koffer. »Du denkst schon wieder an Parker«, neckte sie. »Du hast dann immer einen so verträumten Gesichtsausdruck, daß ...« Sie verstummte, als Nick Tierney zur Tür hereinschaute.
»Ich habe diesen Jungs gesagt«, verkündete er mit einem Fingerzeig auf seine beiden hinter ihm stehenden Freunde, »daß sie in diesem Zimmer mehr Schönheit auf einmal zu sehen kriegen werden als im ganzen Staat Connecticut zusammen, aber da ich zuerst da war, habe ich auch die erste Wahl, und ich habe mir Meredith ausgesucht.«
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