Schatten der Liebe
würde, schwanger zu werden - Bill hat ein Kondom benutzt. Und die anderen Mädchen werden schon deshalb kein Wort darüber verlieren, was ich getan habe, weil sie es schon längst getan haben! Die einzige geschockte kleine Jungfrau in diesem Zimmer warst heute abend du!«
»Das reicht!« unterbrach Meredith sie kalt und setzte sich an ihren Schreibtisch. Obwohl sie äußerlich ruhig blieb, tobten in ihrem Inneren Schuldgefühle. Sie fühlte sich für Lisa verantwortlich, weil sie sie nach Bensonhurst gebracht hatte. Gleichzeitig aber war sie sich durchaus bewußt, daß ihre Moralvorstellungen sehr antiquiert waren und daß sie keinerlei Recht hatte, Lisa Beschränkungen aufzuerlegen, nur weil sie ihr auferlegt worden waren. »Ich wollte dich nicht verurteilen, Lisa, ich mache mir einfach nur Sorgen um dich.«
Nach einem Augenblick angespannten Schweigens drehte Lisa sich zu ihr um und sagte: »Mer, es tut mir leid.«
»Vergiß es«, erwiderte Meredith. »Du hast schon recht.«
»Nein, so war das nicht gemeint«, entgegnete Lisa und sah Meredith flehend an. »Es ist nur einfach so, daß wir zwei sehr verschieden sind - und daß ich nie so sein werde wie du. Nicht, daß ich es nicht ab und zu versucht hätte, aber ...«
Dieses Geständnis rang Meredith ein bitteres Lachen ab. »Warum, bitte, solltest du so sein wollen wie ich?«
»Weil«, Lisa lächelte und imitierte Humphrey Bogart, »weil du einfach Klasse hast, Babe. Klasse mit ganz großem K.«
Ihr erster richtiger Streit wurde noch am selben Abend über einem Milchshake in Paulson's Eisdiele begraben.
Meredith dachte an jenen Abend zurück, während sie die Photos durchschaute, wurde dann aber jäh aus ihren Erinnerungen gerissen, als Lynn McLaughlin ihren Kopf zur Tür hereinsteckte und verkündete: »Nick Tierney hat heute früh unten angerufen. Er sagte, daß euer Telephon hier oben schon abgestellt ist und daß er nachher vorbeikommt.«
»Mit welcher von uns beiden Hübschen wollte er denn sprechen?« fragte Lisa. Lynn antwortete, daß er nach Meredith gefragt habe, und nachdem sie gegangen war, stemmte Lisa ihre Hände in die Hüften und drehte sich in gespielter Wut zu Meredith um: »Ich wußte es! Er konnte gestern abend seinen Blick überhaupt nicht von dir losreißen. Ich habe mich praktisch auf den Kopf gestellt, um ihn auf mich aufmerksam zu machen. Warum nur habe ich dir gezeigt, wie man Make-up benutzt und wie man sich anzieht!«
»Da haben wir's wieder«, feixte Meredith zurück, »nicht einmal einen einzigen popeligen Verehrer gönnst du mir!« Nick Tierney, der in Yale studierte, war gestern zur Abschlußfeier seiner kleinen Schwester nach Bensonhurst gekommen und hatte durch sein außergewöhnlich gutes Aussehen sämtliche Mädchen fasziniert. Wenige Minuten, nachdem er Meredith erblickt hatte, war jedoch er es gewesen, der fasziniert war, und er hatte daraus keinen Hehl gemacht.
»Einen einzigen popeligen Verehrer?« wiederholte Lisa, die sogar dann noch umwerfend aussah, wenn sie wie jetzt ihr rotes Haar nachlässig zusammengebunden hatte. »Wenn du auch nur mit der Hälfte der Jungen ausgegangen wärst, die dich in den letzten zwei Jahren eingeladen haben, hättest du leicht meinen Verabredungs-Rekord brechen können!«
Sie wollte noch weiter reden, als Nick Tierneys Schwester an die offene Tür klopfte. »Meredith«, sagte sie mit einem recht hilflosen Lächeln, »Nick ist unten mit ein paar Freunden, die eben aus New Haven angekommen sind. Er sagt, er will dir unbedingt beim Packen helfen und dir einen unsittlichen oder - wenn du durchaus darauf bestehst - einen richtigen Heiratsantrag machen.«
»Schick den armen liebeskranken Mann und seine Freunde rauf«, sagte Lisa lachend. Als Trish Tierney gegangen war, tauschten die beiden Freundinnen einen amüsierten Blick. Sie waren völlige Gegensätze und standen doch ganz und gar im Einklang miteinander.
Die letzten vier Jahre hatten in beiden große Veränderungen herbeigeführt, doch bei Meredith waren diese Veränderungen besonders auffällig. Lisa hatte schon immer umwerfend ausgesehen, sie hatte nie eine Brille gebraucht, und sie war nie mit Babyspeck geplagt gewesen. Durch die Kontaktlinsen, die Meredith sich vor zwei Jahren von ihrem Taschengeld gekauft hatte, kamen ihre Augen nun voll zur Geltung. Für den Rest hatten die Natur und die Jahre Sorge getragen: Ihre feinen Gesichtszüge waren ausgeprägter, das blonde Haar kräftiger, und ihre Figur war schlanker geworden und
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