Schatten der Liebe
Der einzige Grund, warum sie es noch nicht herausgefunden hat, ist der, daß sie niemand sonst in unserer Klasse kennt und daß sie immer direkt von der Schule nach Hause geht. Sie hat sieben Geschwister und muß daheim viel helfen.«
Mrs. Ellis tätschelte Merediths Arm und überlegte, was sie Tröstliches sagen könne. »Morgen früh sieht alles viel freundlicher aus«, verkündete sie im Brustton tiefer Überzeugung eine jener tröstlichen Lebensweisheiten, die ihr selbst über alles hinweghalfen. Sie nahm das Essenstablett, blieb aber unter der Tür noch einmal kurz stehen: »Denk immer daran«, belehrte sie Meredith in einem Ton, der auf eine wichtige Erkenntnis schließen ließ, »jeder hat irgendwann im Leben einmal Glück!«
Meredith wußte nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. »Vielen Dank, Mrs. Ellis. Das ist wirklich ungeheuer ermutigend.« Schweigend sah sie zu, wie die Tür hinter der Haushälterin ins Schloß fiel, und griff nachdenklich wieder zu ihrem Sammelalbum. Sie klebte den Ausschnitt aus der Tribune sorgfältig ein, schaute ihn lange an und berührte dann vorsichtig Parkers lächelnde Lippen. Schon der Gedanke daran, tatsächlich mit ihm zu tanzen, ließ sie verzückt erschaudern. Doch heute war Donnerstag, und der Eppingham-Ball war erst übermorgen. Eine Ewigkeit entfernt.
Seufzend blätterte sie in dem Album zurück. Ganz vorne befanden sich einige sehr alte, vergilbte Ausschnitte mit verblaßten Photos. Das Album hatte ursprünglich ihrer Mutter gehört und bildete hier im Haus den einzigen greifbaren Beweis dafür, daß Caroline Edwards Bancroft jemals gelebt hatte. Alles andere, was irgendwie an sie hätte erinnern können, war auf Philip Bancrofts Geheiß hin entfernt worden.
Caroline Edwards war Schauspielerin gewesen - den Kritiken nach keine sehr gute, aber eine ausgesprochen glamouröse. Meredith betrachtete die verblaßten Bilder, las die dazugehörigen Texte aber nicht, da sie jedes Wort auswendig kannte. Sie wußte, daß Cary Grant ihre Mutter zur Verleihung des Academy Awards 1955 begleitet hatte, daß David Niven sie die schönste Frau genannt hatte, die er je gesehen habe, und daß David Selznick sie für einen Film engagieren wollte. Sie wußte, daß ihre Mutter in drei Broadway-Musicals aufgetreten war und daß die Kritiker ihre schauspielerischen Leistungen verrissen, aber ihre wohlgeformten Beine gepriesen hatten.
Die Klatschkolumnisten hatten immer wieder darauf angespielt, daß Caroline bei fast all ihren Rollen mit dem jeweiligen Hauptdarsteller ein Verhältnis begonnen hätte. Es gab Bilder, die sie in edle Pelze gehüllt auf einer Party in Rom zeigten oder in einem trägerlosen schwarzen Abendkleid beim Roulettespiel in Monte Carlo. Auf einem Photo lag sie, nur mit einem knappen Bikini bekleidet, am Strand von Monaco, auf einem anderen war sie in Begleitung eines Schweizer Goldmedaillengewinners beim Skifahren in Gstaad zu sehen. Es war offensichtlich, daß Caroline, wo immer sie sich aufgehalten hatte, von gutaussehenden Männern umgeben gewesen war. Meredith seufzte.
Der letzte Zeitungsausschnitt, den ihre Mutter aufbewahrt hatte, war ein halbes Jahr später als der über Gstaad datiert: In einem traumhaften weißen Hochzeitskleid rannte Caroline am Arm von Philip Bancroft lachend die Treppen der Kathedrale hinunter, während auf beide Unmengen von Reis herabregneten. Die Gesellschaftskolumnisten hatten sich bei der Schilderung der Hochzeit gegenseitig überboten. Zum Empfang im Palmer House Hotel war die Presse nicht zugelassen gewesen, aber die Reporter berichteten in allen Einzelheiten über all die illustren Gäste, die eingeladen waren - von den sagenhaft reichen Vanderbilts und Whitneys bis hin zu einem berühmtem Mitglied des Obersten Gerichtshofes und vier Senatoren der Vereinigten Staaten.
Die Ehe hielt zwei Jahre. Lange genug, daß Caroline schwanger werden, ein Kind zur Welt bringen und eine billige Affäre mit dem Pferdetrainer haben konnte, um dann mit einem falschen italienischen Prinzen auf und davon zu laufen, der bei ihnen zu Gast gewesen war. Darüber hinaus wußte Meredith nur, daß ihre Mutter sich nie auch nur die Mühe gemacht hatte, ihr eine Geburtstagskarte zu schicken. Merediths Vater, der auf Würde und altmodische Förmlichkeiten großen Wert legte, nannte ihre Mutter eine egoistische Hure, die von ehelicher Treue genausowenig gehalten habe wie von mütterlicher Verantwortung. Als Meredith ein Jahr alt war, hatte ihr Vater die
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