Schatten der Liebe
seit einem Herzinfarkt lebte. Bei ihrer Ankunft merkten sie, daß sie nicht nur zu Ostern eingeladen worden waren, sondern zu einer Hochzeit - Cyril Bancrofts Hochzeit mit Charlotte, die seit zwei Jahrzehnten seine Sekretärin war. Sie war achtunddreißig, dreißig Jahre jünger als er, Witwe und Mutter von zwei Söhnen im Teenageralter, kaum älter als Meredith.
Meredith hatte nie herausgefunden, warum Philip und Charlotte sich derart haßten, aber dem wenigen zufolge, das sie an jenem Tag dem erbitterten Streit zwischen ihrem Vater und Großvater entnommen hatte, bestand die Animosität bereits, als Cyril noch in Chicago gelebt hatte. Charlotte in Hörweite, hatte Philip sie eine durchtriebene, geldgierige Schlampe genannt und seinen Vater als alten Idioten bezeichnet, der sich von ihr zur Heirat hatte überreden lassen.
Bei jenem Besuch im Palm Beach hatte Meredith ihren Großvater zum letzten Mal gesehen. Er hatte seine Geschäfte von Florida aus geführt, die Leitung von Bancroft & Company jedoch gänzlich Merediths Vater überlassen. Obwohl das Kaufhaus weniger als ein Viertel des Gesamtvermögens der Bancroft-Familie bildete, erforderte seine Leitung naturgemäß die volle Aufmerksamkeit ihres Vaters. Im Gegensatz zu den übrigen Vermögenswerten war Bancroft's für die Familie weit mehr als eine bloß Aktiengesellschaft, die Dividenden abwarf; es war der Grundstock des riesigen Familienvermögens und eine Quelle nie versiegenden Stolzes.
»Dies ist der Letzte Wille von Cyril Bancroft«, begann der Anwalt ihres Großvaters die Testamentseröffnung, zu der Meredith, ihr Vater, Charlotte und deren Söhne in der Bibliothek zusammengekommen waren. Die ersten Legate umfaßten große Summen, die wohltätigen Organisationen zugute kommen sollten. Es folgten vier weitere Legate an Cyril Bancrofts Bedienstete - jeweils 15 000 Dollar für den Chauffeur, die Haushälterin, den Gärtner und die Pflegerin.
Da der Anwalt ausdrücklich auf Merediths Anwesenheit bestanden hatte, nahm sie an, daß auch sie mit einer kleineren Summe bedacht worden wäre. Dennoch zuckte sie zusammen, als Wilson Riley ihren Namen vorlas: »Meiner Enkelin, Meredith Bancroft, vermache ich die Summe von vier Millionen Dollar.« Meredith blieb der Mund offen stehen, und sie mußte sich mühsam auf Rileys nachfolgende Ausführungen konzentrieren. »Obwohl die Umstände und die räumliche Distanz verhinderten, daß ich Meredith besser kennenlernte, habe ich doch den Eindruck, daß sie ein warmherziges und intelligentes Mädchen ist und dieses Geld nicht verschwenden wird. Um dies sicherzustellen, knüpfe ich dieses Vermächtnis an die Bedingung, daß der Betrag zusammen mit Zinsen, Zinseszinsen, Dividenden etc. bis zu ihrem dreißigsten Geburtstag treuhänderisch verwaltet wird. Zu ihrem Treuhänder ernenne ich meinen Sohn, Philip Edward Bancroft, der während dieser Zeit die volle Verfügungsgewalt über das genannte Kapital hat.«
Riley machte einen Augenblick Pause, räusperte sich und blickte dann von Philip über Charlotte auf deren Söhne Jason und Joel; dann las er weiter: »Der Gerechtigkeit halber habe ich mich entschlossen, den Rest meines Vermögens möglichst gleichmäßig zwischen den übrigen Erben aufzuteilen. Meinem Sohn, Philip Edward Bancroft, vermache ich meine gesamten Anteile an Bancroft & Company, einem Kaufhaus, das in etwa ein Viertel meines gesamten Vermögens ausmacht.« Meredith hörte diese Worte, aber sie ergaben irgendwie keinen Sinn. »Der Gerechtigkeit halber« hatte er seinem einzigen Kind ein Viertel seines Besitzes vermacht? Wenn er tatsächlich alles rechtmäßig aufgeteilt haben wollte, so dürfte seine Frau nicht mehr als die Hälfte bekommen, keinesfalls drei Viertel. Dann hörte sie, wie aus weiter Feme, die Stimme des Anwalts fortfahren: »Meiner Ehefrau, Charlotte, und meinen beiden Adoptivsöhnen, Jason und Joel, hinterlasse ich zu gleichen Teilen die restlichen drei Viertel meines Vermögens. Des weiteren ernenne ich Charlotte Bancroft zum treuhänderischen Verwalter über Jasons und Joels Anteile, bis beide das Alter von dreißig Jahren erreicht haben.«
Das Wort Adoptivsöhne drang wie ein Stachel tief in Merediths Brust als sie sah, wie das Gesicht ihres Vaters vor Enttäuschung und Wut aschfahl wurde. Langsam drehte er seinen Kopf und blickte Charlotte an. Sie erwiderte seinen Blick, ohne mit der Wimper zu zucken, während ein boshaftes, triumphierendes Lächeln über ihr Gesicht huschte. »Du
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