Schatten der Liebe
antworten, als ihn der Anblick einer atemberaubenden Blondine verstummen ließ, die in einem hochgeschlossenen, kurzärmeligen schwarzen Kleid die Treppe herunterkam. Er starrte sie mit aufgerissenem Mund an, während sie einen Moment stehenblieb und sich mit einem älteren Ehepaar unterhielt. Als einige vorbeigehende Leute ihm die Sicht versperrten, verrenkte er sich fast den Hals, um sie nicht aus den Augen zu verlieren. »Wen starrst du denn da an?« fragte Doug und versuchte, Jons Blick zu folgen, der sagte: »Ich weiß nicht, wer sie ist, aber ich werde es herausfinden.«
»Wo ist sie?« fragte Shelly, und nun schauten alle in die Richtung, in die er stierte.
»Da!« sagte Jon und deutete mit dem Glas in der Hand auf die Blondine, die gerade wieder zwischen den Menschenmassen auftauchte.
Parker erkannte sie und grinste: »Ihr alle kennt sie seit Jahren, ihr habt sie bloß eine Zeitlang nicht gesehen.« Vier verdutzte Gesichter wandten sich ihm zu, und sein Grinsen wurde breiter. »Das, meine Freunde, ist Meredith Bancroft.«
»Du spinnst!« sagte Jon. Er konnte beim besten Willen keine Ähnlichkeit zwischen jenem ungeschickten, farblosen Mädchen und dieser strahlenden jungen Schönheit entdecken: Der Babyspeck war ebenso verschwunden wie die Brille, die Zahnspange und die unvermeidliche Klammer, mit der sie erfolglos versucht hatte, das glatte Haar zurückzuhalten. Jetzt war das helle, goldblonde Haar zu einem schlichten Knoten aufgesteckt und umrahmte ein Gesicht von klassischer, zeitloser Schönheit. In diesem Moment blickte sie auf und grüßte jemanden, der in Jons Nähe stand. Und er sah ihre Augen. Auf der anderen Seite des Raumes sah er diese großen aquamarinblauen Augen, und er erinnerte sich plötzlich, sie schon einmal gesehen zu haben.
Seltsam erschöpft hörte Meredith schweigend den Leuten zu, die sie ansprachen, und lächelte, wenn diese sie anlächelten. Noch immer konnte sie nicht fassen, daß ihr Großvater tot war und daß die vielen Leute, die das Haus bevölkerten, hier waren, um seinetwegen zu trauern.
Sie hatte Parker während des Trauerzuges gesehen und wußte, daß er irgendwo im Haus war, doch schien es ihr falsch und geschmacklos, diese Gelegenheit für ein romantisches Stelldichein auszunützen. Außerdem wurde sie es allmählich leid, daß immer sie diejenige war, die ihn aufsuchte. Es war an der Zeit, daß einmal er die Initiative ergriff. Als ob ihre Gedanken ihn angelockt hätten, hörte sie plötzlich eine schmerzlich bekannte männliche Stimme in ihr Ohr flüstern: »Dort drüben steht ein Mann, der gedroht hat, mich umzubringen, wenn ich dich nicht zu ihm bringe, damit er dich begrüßen kann.«
Ein Lächeln auf den Lippen drehte Meredith sich um, legte ihre Hände in seine und bekam ganz schwache Knie, als Parker sie an sich zog und auf die Wange küßte. »Du siehst wunderschön aus«, flüsterte er, »und sehr erschöpft. Wie wär's, wenn wir zwei einen Spaziergang machen, sobald du hier weg kannst?«
»Gerne«, sagte sie und wunderte sich, daß ihre Stimme so sicher klang.
Als sie bei den anderen ankamen, fand Meredith sich in der seltsamen Lage, einer Reihe von Leuten vorgestellt zu werden, die sie seit ihrer Kindheit kannte - Leuten, die sie vor einigen Jahren wie Luft behandelt hatten und die jetzt eifrigst darum bemüht waren, ihre Freundschaft zu gewinnen und sie in ihre Unternehmungen miteinzubeziehen. Shelly lud sie auf eine Party am kommenden Wochenende ein, und Leigh drängte sie, beim Glenmoor-Ball am vierten Juli an ihrem Tisch zu sitzen.
Dann ließ Parker es sich nicht nehmen, sie Jon »vorzustellen«. »Ich kann einfach nicht glauben, daß du das bist«, sagte Jon mit einer vom reichlichen Alkoholgenuß etwas undeutlichen Stimme. »Miss Bancroft«, fuhr er fort, sein gewinnendstes Lächeln auf den Lippen, »ich habe diesen Leuten gerade erzählt, daß ich dringend eine passende reiche und wunderschöne Frau brauche. Würdest du mich nächstes Wochenende heiraten?«
Merediths Vater hatte ihr gegenüber Jonathans häufige Streitereien mit seinen enttäuschten Eltern erwähnt, Meredith folgerte also, daß Jons »dringendes« Bedürfnis, eine »reiche« Frau zu heiraten, vermutlich darauf zurückzuführen war, und sie fand seine Art höchst amüsant. »Nächstes Wochenende paßt wunderbar«, sagte sie mit einem strahlenden Lächeln. »Mein Vater wird mich allerdings enterben, wenn ich vor dem College-Abschluß heirate, also werden wir bei deinen Eltern
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