Schatten der Vergangenheit (German Edition)
und erinnerte sich an seine Zeit in Israel, als er jung und unbeschwert war! Er war wirklich am Rande des Wahnsinns. So ein Unsinn. Seine Zeit in Israel war alles andere als unbeschwert. An manchen Tagen war diese Zeit so unreal, dass er dachte, es handle sich um einen anderen Mann, dort in Israel.
Mein Gott, dachte er, diese traurige Musik machte ihn depressiver, als er ohnehin schon war. Plötzlich durchzuckte es ihn. Er verstand den Gesang des Mannes, der Spanisch sang. Er drehte sich um und sah in die Richtung der Musik. David hatte mal aus Liebe zu einer Argentinierin, die er in Paris kennen gelernt hatte, Spanisch gelernt. Die Argentinierin war schneller weg gewesen, als er Spanisch perfekt sprach, aber er verstand den Text. Also war alle Mühe doch nicht umsonst gewesen.
Dort auf einem Hocker mit einer Gitarre saß ein junger Mann, eine schwarze Baseballmütze tief ins Gesicht gerückt und sang mit dieser melancholischen Stimme über verlorene Liebe, Tod und Drogen. David war sich sicher, dass nur er die Worte verstand, denn die anderen Gäste hätten sonst anders reagiert, wenn sie hörten, dass der Sänger über Sex in direkten Worten sang und sie hätten längst nicht so uninteressiert zugehört. Zuhören taten sie, denn niemand der zehn oder elf Männer in dem Pub unterhielt sich. Wie geisterhaft, dachte David. Er betrachtete den Sänger genauer.
Dunkle, dicke Locken hingen unter der Kappe heraus und über den Hemdkragen hinweg. Die Jeans, eng anliegend, war an einigen Stellen zerrissen, sein weißes Hemd hatte er an den Armen hochgerollt und es zeigte braungebrannte, muskulöse Unterarme mit einigen Narben. Er war sehr schlank, eher etwas zu dünn, vielleicht auch ein klein wenig kleiner als David, aber genau konnte das David nicht abschätzen, wo doch der Mann auf einem Hocker saß, ein Bein am Boden und eines auf der Verstrebung des alten Holzhockers.
„Er hört sicher bald auf“, sagte der Wirt zu David, weil er dachte, es störe ihn.
„Oh, ich mag die Musik“, stotterte David verlegen.
Der dicke Wirt grinste und machte eine Handbewegung. „Ich auch, aber versteh kein Wort von dem Gesang!“
„Nun, El diablo hat seine Stimme nicht verloren“, brummte jemand neben David. David sah in die Richtung und sah einen kleinen Mann mit einem vernarbten Gesicht, der seine schmalen Schultern hochzog. Kannte den Sänger hier jeder? Ob er ein Spanier war? Manchmal entdeckte David eine Spur eines anderen Akzents in der Aussprache des Sängers.
David sah wieder in die Richtung des Sängers. Er verstand schließlich soviel Spanisch, dass Diablo Teufel oder Satan hieß.
„Sie rissen sie mir weg, sie zerstückelten mein Herz, sie verstießen mich und Heimweh brachte mich zurück...“ sang der Mann und sah auf.
David starrte. Ja, er starrte und als er es merkte, blinzelte er. Er starrte nie einen Mann an. Er war doch nicht schwul! Der Mann sah ihn direkt an, direkt in die Augen. Oh, verdammt, dachte David, er hatte eindeutig zuviel getrunken. Er hatte noch nie einen Mann gesehen, auf den die Beschreibung‚ gefallener Engel passender schien.
Der Mann stellte die Gitarre neben den Hocker, stand auf und kam auf David zu. Er hatte einen lässigen Gang und die Hände in den Hosentaschen. Der Wirt stellte ihm ein Glas mit einer goldbraunen Flüssigkeit hin. Der Mann mit dem vernarbten Gesicht murmelte hörbar für alle: „Auch das hat sich nicht geändert, er säuft wie sein Cousin.“
Der Sänger reagierte darauf nicht. Wie alt war er? David sah wieder in das Gesicht des Mannes. Der Mann musste zwischen dreißig und fünfunddreißig Jahre alt sein, er hatte scharfe Backenknochen, ein kantiges Gesicht mit einem perfekt gezeichneten Mund und leicht schräge Augen, unter denen schwarze Schatten waren, als hätte er nächtelang nicht geschlafen. Als er in das Licht sah, erkannte David, dass seine Augen tiefblau, beinahe schwarz waren. Eines hatte der Mann mit David gemeinsam – schlechte Laune.
„Du bist nicht von hier“, sagte er mit einer viel tieferen Stimme, als David nach dem Gesang erwartet hätte.
„Nein... Paris.“ „Ach, Frankreich.“ Der junge Mann sprach das Englisch der Königin. Das hatte David nicht erwartet. Hier hatte jeder einen Akzent und Queens-English sprach keiner der Leute hier. Immerhin verstand er den Mann, im Gegensatz zu manch anderen Engländer, die er seit seiner Einreise getroffen hatte.
„Und du?“
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