Schatten der Vergangenheit (German Edition)
Verabredung zu spät kommen und er kam nie zu spät. Er stand vom Tisch auf, legte seine weiße Serviette neben den Teller, ging um den Tisch herum und gab seiner Verlobten einen Kuss auf die Wange, einen sehr raschen, höflichen Kuss. Leidenschaft war etwas für die Nacht, wenn er Zeit hatte, nicht morgens. Er war auch kein Morgenmensch.
„Ich muss los, der Chauffeur wird sicher schon warten“, entschuldigte er sich und strich ihr kurz nochmal über die Wange. Sie nickte und atmete kurz sein exklusives Eau de Toilette ein.
„Ja, natürlich. Wann kommst du zurück aus der Schweiz?“ fragte sie.
„Übermorgen, aber ich rufe dich ohnehin an.“ Wie sachlich er war, wie unromantisch, so leidenschaftslos, wenn es Menschen betraf.
Benjamins Butler stand bereits bei der großen Eingangstüre der Penthousewohnung und hielt den grauen Kaschmirmantel und seine schwarze Ledertasche für ihn bereit.
„Sir, das Auto wartet bereits und Ihre Mutter und Ihr Stiefvater riefen vorhin an. Sie gratulierten Ihnen zur Verlobung.“ Benjamin nickte nur.
John, der Butler verzog keine Miene. Er zeigte auch keine wirkliche Freude, er war immer korrekt, so wie es sich für einen richtigen Butler gehörte. Nicht, dass Benjamin Lewis-Cohen es merkte oder dies bemängelte, er hatte John eingestellt, weil er korrekt und zuverlässig war und keine Emotionen zeigte. Einen jüdischen Butler hatte Benjamin nicht gefunden und so hatte er sich mit John abgefunden. John machte diesen, für Benjamin kleinen Makel, mit Korrektheit wett. Benjamin hasste Spontaneität, Emotionen, Unzuverlässigkeit...
„Danke, John.“ Und schon eilte er mit seiner Ledertasche zur Tür seines Penthouses hinaus.
Zurück blieb nur ein Hauch seines Eau de Toilettes, nichts Aufdringliches, nur teuer, etwas anderes erwartete man von Doktor Lewis-Cohen nicht.
Hannah war aufgestanden, zu dem großen Fenster des Esszimmers gegangen und sah auf die Straße. Von seiner Penthousewohnung blickte man in den Central Park. Sie lag schließlich an der 5th Avenue – und dieser Aspekt war auch mittragend gewesen, warum sie einwilligte, seine Frau zu werden – und die Tatsache, dass ihre Eltern diese Verbindung wollten – oder war es der Diamantring? Sie sah wieder auf ihre Finger. Er war von Harry Winston. Sie wollte immer einen Ring von Harry Winston, dem Juwelier der Reichen schlechthin. Der Ring war in Platin gefasst, mindestens 3 Karat, aber Hannah schätzte ihn auf fünf Karat. Er war riesig! Wirklich riesig und er war im Princess Cut, so wie sie ihn immer wollte. All ihre Freundinnen würden vor Neid platzen!
Hannah ging zurück zum Frühstückstisch und nahm die Zeitung, die noch immer an der Stelle lag, an der sie Ben zusammengefaltet abgelegt hatte. Selbst die Zeitung faltete er! Der Mann war ein Ordnungsfreak! Sie schlug sie auf und sah, dass es keine Finanzzeitung war. Sieh an, Mister Ordentlich und Fleißig las eine Zeitung für Normalsterbliche! Sie schlug die Gesellschaftsseiten auf und seufzte laut. Mit einem Zeigefinger strich sie langsam über die Seite und hielt den Atem an.
„Miss Goldberg kann ich etwas für Sie tun?“ fragte der über-fleißige Butler in seinem snobistischen Englisch, dass Hannah in diesem Moment an ihre verlorene große Liebe erinnerte.
„Nein, Danke, John. Ich gehe ohnehin.“ Ständig war irgendjemand in ihrer Nähe. Es nervte. Sie fühlte sich überwacht. Hoffentlich hatte Ben nicht vor, dieses Spiel nach ihrer Hochzeit fortzusetzen?
Es war nicht so, dass sie Benjamin Lewis-Cohen – falsch Doktor Benjamin Lewis-Cohen nicht mochte, nein, so war es nicht. Sie konnte ihn ganz gut leiden, aber sie liebte ihn nicht und sie wusste, sie würde ihn nie lieben.
Er sah gut aus, sehr groß, schlank, wie ein germanischer Gott – aber das würde sie ihm nie sagen, denn das wollte er wirklich nicht hören, dass er so überhaupt nicht wie eine Jude aussah und sein Judentum trug er wie eine Medaille vor sich her, so als müsste er es jeden beweisen.
Ben war auch nicht übel im Bett, abgesehen von seiner unromantischen, sachlichen Art – und auch wenn sie ihm vorgespielt hatte, dass sie nicht viel Erfahrung gehabt hätte, so hatte sie ihre Unschuld vor einem Jahr verloren, hinter einem Pferdetransporter in Deauville. Spät genug, andere Mädchen waren mit sechzehn schon lange keine Jungfrauen mehr. Aber bewacht wie sie von ihren Eltern wurde, war es bis dahin nie möglich
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