Schatten Der Versuchung
schnodderig.«
»Du brauchst dich nicht bei mir zu entschuldigen. Ich kann verstehen, dass es dir ein Bedürfnis ist, die Atmosphäre zu entschärfen.« Er hockte sich neben sie, nahm ihr Bein in seine Hände und schob den Stoff von ihrer Haut, sodass seine Finger zärtlich über ihren Unterschenkel strichen. »Ich bemühe mich, Sinn für Humor zu entwickeln, was dich angeht.«
Er beugte sich vor, um die grotesken Fingerabdrücke zu studieren, die sich um ihren Knöchel schlossen. Sein dunkles Haar fiel ihm lang und wirr – und viel zu verführerisch, wie Natalya insgeheim fand – auf die Schultern, und sein Atem streifte warm ihre Haut. Natalya konnte sich nur mühsam beherrschen, nicht die Hand auszustrecken und ihm übers Haar zu streichen. Die verätzte Wunde an seinem Hals sah schlimm aus und musste ihm große Schmerzen bereiten, aber er schien es nicht zu registrieren, als wäre das einzig Wichtige für ihn, ihr zu helfen.
»Es ist lebendig, nicht wahr?« Natalya stellte die Frage, um sich auf andere Gedanken zu bringen. Kein Küssen mehr inmitten tödlicher Gefahr. Sie lehnte es schlichtweg ab, zu dumm zum Leben zu sein. Ihr Blick fiel auf seinen Mund. Sein Mund war verboten sinnlich, und das war das Problem, nicht sie. Es war allein Vikirnoffs Schuld.
»Ja.« Seine Stimme war grimmig. »Es hinterlässt denselben Geruch wie das Wesen, das du Trollkönig getauft hast. Ich glaube, das hier ist sein Werk.«
Sie schluckte schwer. »Xavier?« Sie würde ihn auf keinen Fall Großvater nennen. Natalya wollte nicht daran denken, dass er mit ihr verwandt war. Sie konnte nicht an ihn denken, ohne vor sich zu sehen, wie er ihre Großmutter ermordete.
Vikirnoff runzelte die Stirn. »Nein, an ihn habe ich eigentlich nicht gedacht. Das hier sieht nach einem Vampir aus und auch wieder nicht. Ich kann noch nicht sagen, womit wir es zu tun haben. Ich werde in deinen Körper gehen müssen, um die Parasiten zu beseitigen.«
»Parasiten? Willst du damit sagen, dass in meinem Bein irgendwelche durchgeknallten Parasiten sind? Hol sie raus! Jetzt gleich. Beeil dich, Vik, oder ich drehe durch.« Natalya erschauerte. Ihre Haut kribbelte und juckte plötzlich, als würden Insekten über ihren ganzen Körper kriechen.
»Ich bin mir nicht ganz sicher, was durchgeknallt bedeutet, nehme aber mal an, nichts Gutes.« Er hielt es für besser, sich zu »Vik« nicht zu äußern. Natalya war wirklich verstört. Ihre Unterlippe bebte, und dieser Anblick versetzte ihm einen kleinen Stich.
»Nein, es ist nichts Gutes, und außerdem schläft mir gleich der Hintern ein, weil ich auf diesem Eisblock sitzen muss.« O Gott, sie jammerte und greinte. Saß da wie der jämmerlichste Waschlappen, während Vikirnoff über und über mit Blut bedeckt war und fast die Kehle aufgerissen bekommen hatte. Die Tigerin war verschwunden und hatte ein Häufchen Elend zurückgelassen. Natalya vergrub ihr Gesicht in den Händen. Sie schämte sich zu sehr, um Vikirnoff in die Augen zu schauen. »Hol sie bitte, bitte aus mir raus!«
Er murmelte ihr etwas in seiner alten Sprache zu. Es klang sanft und zärtlich und brachte sie fast zum Weinen. Völlig regungslos saß sie da und sah zu, wie er seinen Geist von seinem Körper löste und sich mit sehr viel Wärme und viel zu großer Intimität in ihrem Inneren bewegte. Er tat es mit einer Leichtigkeit, gegen die sich ihre eigenen Bemühungen plump und unbeholfen ausnahmen. Es gab kein Ringen um Konzentration, nur ein kurzes Schließen seiner Augen, und sie wusste, dass sein Körper nur noch eine leere Hülle war.
Natalya fühlte seine Gegenwart in dem Moment, als er in ihrem Inneren war und ihr Bewusstsein mit Zuversicht und noch viel mehr erfüllte. Er vergewisserte sich, dass nicht einmal ein Schatten des Meistervampirs zurückblieb, um irgendwo im Verborgenen zu lauern, und verstärkte ihre inneren Schutzschilde, bevor er sich ihrem Bein zuwandte. Sie fühlte sein ruhiges Selbstvertrauen und stützte sich darauf. Zu viel war schiefgegangen, und Natalya war sich nicht mehr sicher, ob sie die Aufgabe, die ihr übertragen worden war, ohne Hilfe bewältigen konnte. Allein die Enthüllungen über ihre Großeltern reichten aus, um sie bis in den innersten Kern ihres Wesens zu erschüttern. Sie versuchte, sich still zu verhalten und ebenso gelassen zu wirken wie Vikirnoff, obwohl sie in Wirklichkeit völlig verstört war.
Vikirnoff untersuchte die winzigen Mikroorganismen, die dicht an dicht rund um die
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