Schatten der Wahrheit
den Geschmack kommen.
»Das schmeckt mir nicht«, stellte sie fest.
»Jetzt bin ich überrascht«, erwiderte Nicholas Darwin. »Das ist die zweite Schale, die du heute Abend geleert hast.«
»Nicht das Essen. Das Warten auf eine Person, die ihren Namen nicht nennt.«
»Du hast gesagt, du wüsstest, von wem sie stammt.«
Anastasia nahm einen tiefen Schluck aus dem Bierkrug. Sie wünschte sich, es wäre Wodka, aber das >Riggers' Rest< gehörte nicht zu den Lokalen, in denen man guten Stoff bekam. Außerdem war Wodka der Lieblingsdrink ihres Alter Egos Tassa Kay, und hier war sie nicht Tassa Kay. Sie war nur Anastasia in Verkleidung.
»Wir wissen beide, von wem sie stammen muss«, sagte sie. »Aber er wird nicht selbst hier erscheinen. Also warten wir wie die Narren auf irgendjemanden, den wir nicht erkennen werden, wenn er auftaucht.«
Es kostete sie Mühe, bei dem Gedanken nicht das Gesicht zu einer wütenden Fratze zu verziehen. Aber unscheinbare Wanderer taten so etwas nicht. Sie würde weiter warten, sie würde der Person zuhören, die der Absender der Botschaft, der glaubte, er hätte Geschäftliches mit den Stahlwölfen zu besprechen, schickte. Und eines Tages, wenn ihre Angelegenheiten hier auf Northwind ein für alle Mal geklärt waren, würde Anastasia Kerensky diesem Jemand unmissverständlich zeigen, was es bedeutete, mit dem Wolfsclan ins Geschäft zu kommen.
Aber offenbar nicht heute. Die Bardame hatte Ni-cholas Darwin gerade einen frischen Krug Bier und einen kleinen, zusammengefalteten Zettel gebracht.
»Von der Dame da drüben«, erklärte sie.
Anastasia schaute, ohne den Kopf zu wenden, hinüber und sah eine junge rothaarige Frau in modischer, aber praktischer Kleidung - sofern >praktisch< gleichzusetzen war mit >geeignet, Waffen zu verstek-ken<. Nicholas Darwin öffnete die Botschaft, las sie und reichte sie wortlos an Anastasia weiter.
Die Lady muss allein mit mir reden. Zimmer 9 im ersten Stock, in zehn Minuten.
»Du solltest nicht allein gehen«, bemerkte Darwin, nachdem sie die Botschaft gelesen hatte. »Es könnte eine Falle sein.«
»Falls ich nicht allein gehe, verschwindet sie, und wir müssen von vorne anfangen. Und ich bin es leid, in Fort Barrett Bier zu trinken.«
»Zugegeben«, gestand er ein. »Selbst Bier wird irgendwann langweilig. Was tue ich inzwischen?«
»Du wartest hier unten und lauschst. Falls du mich deinen Namen rufen hörst, kommst du mit gezückter Waffe hoch.«
Darwin nickte. »Mache ich.«
»Gut.«
Zehn Minuten vergingen. Die andere Frau hatte den Raum kurz nachdem die Bedienung ihre Nachricht überbracht hatte verlassen. Andere Gäste kamen und gingen, Raffineriearbeiter verließen das >Riggers' Rest<, und Soldaten aus dem eigentlichen Fort Barrett kamen, als Anastasia aufstand und ihr Bier leerte.
»Es ist Zeit. Du wartest hier, und denk daran: Spitz die Ohren.«
Sie stieg die schmale Treppe zum ersten Stock der Gastwirtschaft hoch und folgte dem Korridor zu Zimmer 9 am äußersten Ende. Die Tür stand einen Spalt offen.
Anastasia gab ihr einen Stoß. Sie öffnete sich. Anastasia trat ins Zimmer und die Tür schloss sich. Da sie keinen Riegel schnappen hörte, unterdrückte die Stahlwölfin fürs Erste den Impuls, mit Gewalt zu reagieren, und schaute sich nach der anderen Frau um.
Sie fand sie an einem Schreibtisch in der Ecke des Zimmers, die der Tür gegenüberlag.
»Hallo, Galaxiscommander«, eröffnete die Frau das Gespräch. »Ich sehe, Sie haben unsere Nachricht erhalten.«
Anastasia griff sich den zweiten Stuhl im Raum, ohne auf eine entsprechende Einladung zu warten. »Immer der Reihe nach. Wer sind Sie, und wie haben Sie es geschafft, mir die Nachricht zukommen zu lassen?«
»Machen Sie sich über mich keine Gedanken«, antwortete die Frau. »Ich bin nur eine Botin. Was die Frage betrifft, wie mein Auftraggeber eine Nachricht an Sie schicken konnte: Ich fürchte, das ist ein Geschäftsgeheimnis.«
»Wessen Geheimnis? Und wessen Botin?«
»Ich denke, das wissen Sie.«
»Ich weiß, wessen Name erwähnt wurde«, stellte Anastasia fest. »Aber einen Namen kann jeder erwähnen.«
Die Frau schmunzelte. »Mag sein. Aber Jacob Bannson ist kein Name, den es klug wäre zu erwähnen, wenn man nicht die Erlaubnis seines Eigentümers dazu hat. So wie ich sie habe, da es sich in diesem Fall so trifft.«
»Und jetzt erklären Sie mir, warum ich Ihnen glauben soll.«
»Ich dachte mir schon, dass das nötig wird«, bemerkte die Frau. »Deshalb habe
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