Schatten der Wahrheit
ersten Becher Kaffee beschäftigt. Weder der Paladin noch die Countess teilten ihre Vorliebe, sondern zogen stattdessen den traditionelleren Tee vor. Während sie das Kaffeearoma genoss, hörte Bishop einer Diskussion über die unvermeidlichen Probleme des wirtschaftlichen Wiederaufbaus nach einem Krieg zu. Dieses Wochenende war ganz der Verwaltungsarbeit gewidmet und insbesondere den noch immer nicht abgeschlossenen Aufräumarbeiten nach dem Militärfeldzug des vergangenen Sommers.
Auch nach der Vertreibung der Stahlwölfe hatten die Countess und der Paladin nicht über mangelnde Arbeit zu klagen. Northwind hatte Probleme genug, um zahllose Menschen beschäftigt zu halten. Besonders die Region Bloodstone litt unter einer schweren Wirtschaftsdepression, da die Kämpfe im Red-Ledge-Pass die lokale Infrastruktur schwer geschädigt hatten.
»Zumindest sind die Straßen repariert«, stellte Gräfin Tara Campbell fest. »Das hatte Priorität. Schnellstraße 66 durch Red-Ledge ist die einzige ganzjährig befahrbare Straßenverbindung über die nördlichen Rockspires.«
»Sie kennen die örtliche Lage besser als ich«, antwortete Crow in einem Tonfall, als würde er damit etwas zugestehen.
Kapitänin Bishop hatte den Eindruck, dass es sich nur um die letzte Runde in einer Diskussion zwischen Tara Campbell und Ezekiel Crow handelte, die lange vor ihrer Ankunft begonnen hatte. Die Beziehung zwischen der Countess und dem Paladin war interessant zu beobachten. Die beiden schienen einander hyperbewusst zu sein. Beide beobachteten den anderen heimlich, wann immer er sich abwandte, um sich dann hastig zur Seite zu drehen, sobald sich ihre Blicke trafen.
Dieser ständige Beinahe-Blickwechsel und die Art, wie sich Tara Campbell und Ezekiel Crow unbewusst um den Tisch bewegten, nämlich so, dass sie sich immer gerade eben in förmlicher Gesprächsdistanz befanden, aber nie nahe genug für eine tatsächliche Berührung, reichten aus, um Bishop davon zu überzeugen, dass die beiden sich mächtig zueinander hingezogen fühlten. Sie fragte sich, ob sie sich dieser gegenseitigen Anziehung selbst schon bewusst geworden waren. Hätte ein Mann wie Crow sie so angesehen, hätte sie den Blick inzwischen ganz sicher erwidert.
Crow redete noch immer. »Aber Sie dürfen die militärische Bereitschaft nicht vernachlässigen.« Er hob eine Mappe mit Ausdrucken vom Tisch und wedelte damit in der Luft. »Das hier sind Empfehlungen von hochrangigen Regimentsoffizieren, die für eine Fortsetzung des Aufbaus plädieren, und ihre Argumente sind äußerst überzeugend.«
Tara Campbell stieß einen hörbaren Seufzer aus.
»Die Präfektin stimmt Ihnen voll und ganz zu, Paladin Crow. Aber die Countess of Northwind hat bei dieser Angelegenheit auch noch ein Wörtchen mitzureden, und sie erinnert die Präfektin, dass in der Region Bloodstone 19 Prozent Arbeitslosigkeit herrschen, unser Hauptraumhafen nur mit drei Vierteln seiner Kapazität arbeitet und die planetare Wirtschaft sich noch nicht voll von den Auswirkungen des HPG-Kollapses erholt hat. Wir müssen mehr berücksichtigen als nur die militärische Lage, wenn wir die unglücklicherweise endlichen Mittel zuteilen.«
»Die negativen Konsequenzen...«, setzte Crow an.
»Sind beträchtlich, ganz gleich, in welche Richtung wir uns verirren. Also werden wir auch weiter von Peter stehlen, um Paul zu bezahlen, und von Paul borgen, um Peter für den Ausfall zu vergüten, und wo immer möglich Einsparungen machen.« Wieder seufzte die Countess of Northwind. »Nicht, dass sich auf Northwind je zwei Leute gefunden hätten, die sich einig wären, wo man Einsparungen machen kann.«
Crow nickte. »Wenn wir das Budget für die sozialen Einrichtungen auf dem derzeitigen Stand halten...«
»Bedeutet das, die Bergsiedlungen aufzugeben«, protestierte Tara Campbell. »Sie verfügen nicht über das nötige Privatvermögen, um den Ausfall auszugleichen.« Sie machte eine Pause und überlegte. »Aber Kearny boomt. Wir könnten Mittel von dort umleiten. Sie werden natürlich jammern und protestieren, aber solange sie nur jammern und protestieren... Sehen wir uns die Tabellen noch einmal an.«
Die Gräfin und der Paladin widmeten sich wieder den Ausdrucken der Tabellenkalkulation. Ihre Köpfe waren näher beieinander als je zuvor, während sie sich leise unterhielten. Kapitänin Bishop ließ sie gewähren und füllte ihren Becher an dem großen silbernen Samowar mit dem Wappen der Northwind Highlanders.
Dann ging
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