Schatten des Wahns: Stachelmanns dritter Fall (German Edition)
haben. Und wenn du wüsstest, wie sehr ich diese Beziehungsdramen hasse und die nächtlichen Diskussionen mit Entschuldigungen und Vorwürfen, Heulen und was weiß ich. Damals war ich dir dankbar, dass du mir den Quatsch erspart hast.«
Stachelmann staunte. Und diese Geschichte hatte er jahrzehntelang mit sich herumgetragen. Immer wieder war sie hochgekommen, hatte ihn geplagt, weil er ein Feigling gewesen war und jemand anderem wehgetan hatte. Er hatte ihr nicht wehgetan. »Damals war ich dir dankbar«, hatte sie gesagt. Unglaublich.
»Jossi, bist du noch dran?«
»Ja, ja.«
»Also, wir müssen über diese alte Geschichte nicht mehr reden. Für mich ist das erledigt.«
»Gut, gut«, sagte er.
»Jetzt kommen wir mal zum Grund meines Anrufs. Du hast mir doch diese Fotos geschickt. Also, diese Frau kenne ich. Bilde ich mir zumindest ein.«
Stachelmann hörte sein Herz pochen. »Ja, und?«
»Sie heißt Angelika.«
»Und weiter?«
»Nichts weiter. Aber ich weiß, wen ich fragen könnte. Ich treffe die aber erst heute Abend.«
»Rufst du mich heute Abend noch an, auf dem Handy?«
»Wo treibst du dich denn herum?«
»Eine Verabredung.«
»Dann versetz die nicht auch noch«, sagte Regine und lachte rau. Dann hustete sie.
Stachelmann nahm wieder den Hörer vom Ohr. Er konnte sich nicht mehr vorstellen, mit dieser Frau eine Beziehung gehabt zu haben. »Bestimmt nicht«, sagte er. »Aber bitte ruf mich sofort an, wenn du den Nachnamen und möglichst die Adresse weißt.«
»Die Konfektionsgröße interessiert dich aber nicht?« Sie hustete wieder.
»Kommt drauf an«, sagte er gequält. Er musste sie bei Laune halten, obwohl sie begann, ihn anzuwidern.
Nach dem Gespräch saß er eine Weile mit geschlossenen Augen. Er versuchte sich vorzustellen, wie es damals gewesen war mit Regine. Er wusste es nicht mehr. Doch war er erleichtert, dass seine Feigheit damals nützlich gewesen war. Er hatte sich unnötig Vorwürfe gemacht. Oder doch nicht? Wurde eine schlechte Handlung besser, weil sie zufällig ins Kalkül des anderen passte? Sei's drum.
Dann spürte er die Aufregung. Er schwitzte. Und wenn er Angelika nicht fand? Oder wenn sie nichts wusste? Wenn seine Kombinationen einmal mehr in eine Sackgasse führten? Seine Gedanken wanderten weit weg, in die Zeit der roten Fahnen. Nein, an eine Angelika konnte er sich nicht erinnern. Doch bewiesen die Fotos, sie war dabei gewesen. Vielleicht nicht zu seiner Zeit? Er holte Kopien der Fotos aus seiner Aktentasche und legte sie vor sich auf den Schreibtisch. Es war schwer, sich aus den schwarzen und weißen Bildpunkten ein Gesicht zu denken. Und doch hatte Regine sie erkannt. Gewiss nicht wegen des schlecht erkennbaren Gesichts, sondern weil sie so dastand, wegen ihrer Gestik, ihrer Haare, ihrer Kleidung. Sie war hübsch gewesen, diese Angelika. Jedenfalls fand er nichts, was diesem Eindruck widersprach. Wie mochte sie heute aussehen? Er dachte an Regine, es schauderte ihn.
Etwas ließ seine Hand zum Telefonhörer greifen. Er wählte Annes Nummer. Sie nahm nach dem vierten Klingeln ab, im Hintergrund kreischte Felix.
»Stör ich?«
»Nein, es ist nur das Übliche. Ich lass ihn weinen, er will sich nicht trösten lassen und wird sich wieder abregen. Man könnte fast denken, du wärst der Vater. Genauso stur.«
Er lachte leise. »Sagen wir konsequent.«
»Lateinisch klingt es besser, ändert aber nichts am Sachverhalt, Herr Kollege. Kommst du voran?«
»Ja.«
»Ich meine mit der Arbeit.«
»Das meine ich auch. In der Ossi-Sache eher nicht.« Er berichtete ihr vom Stand der Dinge.
»Lass die Finger davon. Nachher findet Regine diese Angelika, und du fährst hin. Aber natürlich weiß sie nichts. Und wenn sie was weiß, macht sie sich womöglich strafbar, weil sie Mörder gedeckt hat. Und über Ossi, was soll sie dir über ihn verraten?«
»Ich glaube immer noch, dass der Thingstättenmord der Schlüssel ist für Ossis Tod. Bedenke, er war in Heidelberg, kurz bevor er umkam. Er hat in Heidelberg Leute befragt, die haben sich an ihn erinnert. Offenbar ist er dem oder den Mördern auf die Schliche gekommen, und der oder die haben das dummerweise spitzgekriegt.«
»Ich sehe schon, ich kann dich nicht davon abbringen. Wie geht es sonst so?«
Stachelmann verfluchte sich schon, während er antwortete. »Es geht. Arbeit, nichts als Arbeit.« Seine Stimme war plötzlich belegt.
»Du hast mir sonst nichts zu sagen?«
»Komische Frage, was denn?«
»Dann ist es ja
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